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Der Beschuldigte ist deshalb auch dann von der
Beschlagnahme der in seinem elektronischen Postfach gelagerten
E-Mail-Nachrichten zu unterrichten, wenn die Daten aufgrund eines
Zugriffs beim Provider auf dessen Mailserver sichergestellt wurden. Eine
Zurückstellung der Benachrichtigung wegen Gefährdung des
Untersuchungszwecks sieht die Strafprozessordnung für diese
Untersuchungshandlung - anders als
§ 101 Abs. 5 StPO für die in
§ 101
Abs. 1 StPO abschließend aufgeführten heimlichen Ermittlungsmaßnahmen -
nicht vor.
(6)
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2009 haben
sich BGH und BVerfG kurz nacheinander über die Zulässigkeit der
Beschlagnahme von E-Mails geäußert
(1).
Dabei hat das BVerfG über die Beschlagnahme einer einzelnen E-Mail
entschieden
(2)
und dazu die einfache Beschlagnahme nach
§ 94 Abs. 2 StPO ausreichen lassen.
Der BGH hingegen musste über die Beiziehung einer Vielzahl von
E-Mails entscheiden
(3).
Er betrachtet die Maßnahme nach Maßgabe des
§ 99 StPO (
Postbeschlagnahme) als zulässig
(4).
Das hat zur Folge, dass die
Vorermittlungen abgeschlossen sein müssen und sicher ist, dass eine
Straftat begangen wurde. Nicht erforderlich ist es, dass der
Beschuldigte namentlich feststeht. Die Maßnahme unterliegt keinem
einschränkenden Tatbestandskatalog.
Dabei verlangt der BGH nach einem "Doppelbeschluss". Zunächst muss
der Hostprovider zur Herausgabe aller E-Mails herangezogen werden. Dem
schließt sich die Durchsicht gemäß
§ 110 StPO an, an deren Schluss die Beschlagnahme der wirklich
beweisbedeutenden Nachrichten erfolgt. Damit wird eine überschießende
Beschlagnahme vermieden, gegen die sich auch das BVerfG wendet.
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Diese
Entscheidungslinie hat der BGH jetzt bestätigt
(5).
Die erst am 24.03.2010 veröffentlichte Entscheidung verlangt hingegen,
dass die Beschlagnahme nicht im Geheimen erfolgen darf (siehe
links).
Dazu verweist die neue Entscheidung auf
§ 101 StPO,
der die geheimen Ermittlungen abschließend behandele und keinen Raum für
die Zurückstellung einer Benachrichtigung im Fall der Beschlagnahme
gebe. Das Gericht verweist auch auf die mehrheitlich anders lautenden
Meinungen in der Kommentarliteratur, schließt sich jedoch einer
Einzelmeinung an.
Ich glaube
nicht, dass das zur einheitlichen Meinung des BGH wird.
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Ein
obiter dictum (lat. „nebenbei Gesagtes“) ist eine in einer Entscheidung
eines Gerichtes geäußerte Rechtsansicht, die die gefällte Entscheidung
nicht trägt, sondern nur geäußert wurde, weil sich die Gelegenheit dazu
bot..
(8)
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§ 101 StPO
betrifft den nachträglichen Rechtsschutz unter den besonderen
Voraussetzungen geheimer Ermittlungen
(7).
Damit erfasst das Gesetz nur einen Teil der Eingriffsmaßnahmen, die
§ 33 Abs. 4 StPO ohne rechtliches Gehör zulässt, weil sonst der
Ermittlungszweck gefährdet wäre. Das gilt jedenfalls für die beiden
erforderlichen gerichtlichen Entscheidungen. Sie sind nicht auf die
"offene" Durchsuchung gemäß
§§ 102,
103 StPO gerichtet, die eine Beteiligung des Betroffenen erfordern
würde, sondern auf die Beschlagnahme gemäß
§ 94 Abs. 2 StPO. Diese richtet sich gegen den Gewahrsamsinhaber und
das ist der Hostprovider und nicht der Beschuldigte, der nur die Dienste
des Providers in Anspruch nimmt.
Daran ändert sich nichts durch die zwischenzeitliche Durchsicht nach
§ 110 StPO. Es handelt sich um eine Ausführungsvorschrift für die
Durchsuchung, die von der Rechtsprechung zur Vermeidung einer überschießenden Beschlagnahme in
das Herausgabeverfahren nach
§ 95 StPO eingebaut wurde. Das ist gegenüber dem Hostprovider - wie
bei allen anderen Dritten - offen und betrifft den Beschuldigten nur
mittelbar. Für die mittelbare Betroffenheit sieht das Gesetz und die
Rechtsprechung ansonsten keine Beteiligung vor. Mit einer Ausnahme. Das
ist die richterliche Vernehmung im Ermittlungsverfahren. Aber auch von
ihr können der Beschuldigte und sein Verteidiger ausgeschlossen werden (
§ 168c Abs. 3, 5 StPO).
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Auf die
angebliche Benachrichtigungspflicht weist die neue Entscheidung nur hin,
ohne dass diese Ausführungen die Sachentscheidung betreffen. Es handelt
sich um ein obiter dictum ohne Bindungswirkung. Und wie mir scheint,
wurde es nicht nur nebenbei, sondern auch unbedacht gesagt.
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