BVerfG zum
Gefährdungsschaden:
Wenn und soweit in der wirtschaftlichen Praxis
geeignete Methoden zur Bewertung von Vermögenspositionen
entwickelt worden sind, müssen die Gerichte diese - gegebenenfalls über
die Hinzuziehung eines Sachverständigen - auch ihrer Beurteilung
zugrunde legen. Dabei geht es darum, die
Schadensfeststellung auf eine sichere Grundlage zu stellen, sie
rational nachvollziehbar zu machen und sich zu vergewissern, ob im
Einzelfall eine hinreichend sichere Grundlage für die Feststellung eines
Vermögensnachteils überhaupt existiert oder ob man sich in einem Bereich
bewegt, in dem von einem zahlenmäßig fassbaren
Schaden noch nicht die Rede sein kann. Soweit Unsicherheiten
verbleiben, ist unter Beachtung des Zweifelssatzes der (Mindest-)Schaden
im Wege der Schätzung zu ermitteln ...
(1) |
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Mit dem
Beschluss vom 23.06.2010 hat das BVerfG
(1) die Diskussion um den
Schadensbegriff im Vermögensstrafrecht wieder aufgenommen und verlangt
auch beim Gefährdungsschaden nach einem wirtschaftlich bemessenem
Schaden
(2).
Die Entscheidung setzt sich tief mit der Strafvorschrift zur Untreue
auseinander (
§ 266 StGB). Sie ist sehr allgemein gefasst und sagt in aller Kürze
aus, dass derjenige bestraft wird, der unter Verletzung einer besonderen
Treuepflicht dem Betreuten Nachteil zufügt.
Das BVerfG bleibt dabei, dass die Strafvorschrift trotz ihrer
allgemeinen Fassung verfassungsgemäß ist und die Fachgerichtsbarkeit
gehalten ist, die Konturen, Grenzen und Einzelheiten herauszuarbeiten.
Insoweit untersucht das BVerfG die Rechtsprechung des BGH und stellt
fest, dass er diese Aufgabe erfüllt hat.
Nur wegen des "Nachteils" sieht das BVerfG Anlass zum Einschreiten.
"Nachteil" und "Schaden" werden von ihm - der Fachrechtsprechung folgend -
gleich behandelt. Im Gegensatz zum Betrug (
§ 263 StGB) hat der Gesetzgeber bei der Untreue auf eine
Strafbarkeit im Versuchsstadium verzichtet. Das erfordert im Hinblick
auf den Schaden, dass ein solcher tatsächlich durch die Handlung oder
das pflichtwidrige Unterlassen des Täters eingetreten ist.
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Rechtsprechung zum Gefährdungsschaden
Entscheidungsgegenstände
schwarze Kassen
außerordentliche Provisionen
ungesicherte Kredite
kein abstrakter Gefährdungsschaden
vorsichtige Schätzung
Fazit
Damit wendet sich das BVerfG nicht gegen den Begriff der
schadensgleichen Vermögensgefährdung (gleichzusetzen mit dem
Gefährdungsschaden) insgesamt, sondern nur in einer besonderen
Ausprägung: Es bedarf immer der Feststellung eines bezifferten Schadens. Allein aus
einer - auch erheblichen - Pflichtwidrigkeit, die einen Schaden
erwarten, nicht aber beziffern lässt, darf keine Bestrafung abgeleitet
werden.
Die Entscheidung wird die Diskussion um die Konturen des
vermögensstrafrechtlichen Schadensbegriffs fördern, deren Ausgang nicht
vorhersehbar ist. Zwei Vorstöße des BGH aus dem Sommer 2009 führen zu
einer wirtschaftlichen Betrachtung des Schadensbegriffs und erweitern
ihn zum Beispiel um Wertberichtigungen und Aufwände für die Rechtsverfolgung
und Realisierung von Forderungen. Letztere sind Folgeschäden, die
bislang nur mittelbar in die Schadensbestimmung einbezogen wurden.
Dort, wo es um schwer bestimmbare Schadensereignisse geht, wird die
Strafverfolgung aufwändiger und teurer werden, weil zunehmend
Sachverständige zu Wort kommen müssen.
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Rechtsprechung zum Gefährdungsschaden |
Entscheidungsgegenstände |
Leitsatz 1 zur
aufgehobenen Entscheidung des BGH:
Schon das Entziehen und Vorenthalten erheblicher Vermögenswerte unter
Einrichtung von verdeckten Kassen durch leitende Angestellte eines
Wirtschaftsunternehmens führt zu einem endgültigen Nachteil im Sinne von
§ 266 Abs. 1 StGB; auf die Absicht, das Geld im
wirtschaftlichen Interesse des Treugebers zu verwenden, kommt es nicht
an
(3). |
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Zuletzt
hatte sich das BVerfG im März 2009
(4)
zum Begriff des Schadens beim Betrug (
§ 263 StGB) und bei der Untreue (
§ 266 StGB) geäußert und den Gefährdungsschaden gelten lassen. Es
forderte konkrete Tatsachen, die die schadensgleiche Vermögensgefährdung
begründen, eine zeitliche Nähe zum konkreten Schadenseintritt und einen
Kontrollverlust des Geschädigten:
Es muss eine vom Berechtigten nicht mehr zu kontrollierende und nur
noch im Belieben des Täters stehende Möglichkeit des endgültigen
Vermögensverlustes bestehen
(5).
Zwei Senate
des BGH haben im Sommer 2009 die Diskussion aufgenommen und den
Gefährdungsschaden als selbständige Form des Schadens beim Betrug in
Frage gestellt
(6).
Der erste Senat bezieht sich dabei auf ein Zitat aus der Rechtslehre:
Zwischen Schaden (Verlust) und Gefährdung (Beeinträchtigung) besteht
bei wirtschaftlicher Betrachtung also kein qualitativer sondern nur ein
quantitativer Unterschied
(7).
Das bezieht der dritte Senat auf den Zeitpunkt des Vertragsabschlusses
(8),
wobei eine Lebensversicherung Leistungen zusagt und der Täter von
vornherein die Absicht verfolgt, mit gefälschten Todesbescheinigungen
alsbald diese Leistungen zu ertrügen. Dadurch entstehe eine
Erhöhung
der Leistungswahrscheinlichkeit, mit der die Kalkulationsgrundlagen
der Versicherung unterlaufen werden
(9).
06.01.2012: Diesen Teil der Entscheidung hat das BVerfG als
tatbestandsausweitende Überdehnung der Strafbarkeit kassiert
(9a).
Über die
weiteren Einzelheiten hat der Cyberfahnder im Januar 2010 berichtet:
Schaden und schadensgleiche Vermögensgefährdung.
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Der
neuen Entscheidung des BVerfG liegen drei Verurteilungen wegen
Untreue zugrunde:
schwarze Kassen für Bestechungsgelder bei der Siemens AG
außerordentliche Prämien für die Angestellten einer Betriebskrankenkasse
ungesicherte Kredite der Berlin-Hannoverschen Hypothekenbank AG für die
Modernisierung von Plattenbauten
(10)
In den ersten beiden Fällen betrachtet das BVerfG die Verurteilungen als
hinreichend bestimmt. Nur im dritten Fall, in dem das Landgericht Berlin
auf den Gefährdungsschaden abgestellt hat, hat das BVerfG das
Tatsachenurteil und das bestätigende Urteil des BGH aufgehoben
(11).
Das BVerfG setzt
sich zunächst umfassend damit auseinander, in welchem Maß
der Gesetzgeber unbestimmte Rechtsbegriffe verwenden darf,
dass
die Fachgerichte unbestimmte Rechtsbegriffe präzisieren und begrenzen
müssen und
in
welchen Fällen das BVerfG zum Einschreiten gefordert ist.
Sein Ergebnis ist, dass der Untreuetatbestand als solcher dem
Bestimmtheitsgebot (
Art. 103 Abs. 2 GG) noch entspricht und die Fachgerichte seine
Grenzen im Wesentlichen abgesteckt haben
(12).
Sodann
folgen weite Ausführungen über den Inhalt des Untreuetatbestandes und
des mit ihm verbundenen Schadensbegriffes mit dem Ergebnis, dass sichere
Feststellungen dazu getroffen werden müssen, dass ein Schaden und in
welcher Höhe er tatsächlich eingetreten ist
(13).
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schwarze Kassen |
außerordentliche Provisionen |
Danach entspricht es anerkannten bankkaufmännischen Grundsätzen, Kredite
nur nach umfassender und sorgfältiger Bonitätsprüfung zu gewähren; eine
Pflichtverletzung im Sinne des
§ 266 StGB liegt vor, wenn die
Entscheidungsträger bei der Kreditvergabe ihre bankübliche Informations-
und Prüfungspflicht bezüglich der wirtschaftlichen Verhältnisse des
Kreditnehmers gravierend verletzt haben
(17) |
Danach sind auch Gefährdungsschäden von den Gerichten in
wirtschaftlich nachvollziehbarer Weise festzustellen. Anerkannte
Bewertungsverfahren und -maßstäbe sind zu berücksichtigen; soweit
komplexe wirtschaftliche Analysen vorzunehmen sind, wird die
Hinzuziehung eines Sachverständigen erforderlich sein. Die im Falle der
hier vorzunehmenden Bewertung unvermeidlich verbleibenden Prognose- und
Beurteilungsspielräume sind durch vorsichtige Schätzung auszufüllen. Im
Zweifel muss freigesprochen werden.
(21) |
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Allgemein
anerkannt ist, dass der Schaden durch einen bilanziellen Vergleich der
Vermögenssummen vor und nach dem schädigenden Ereignis ermittelt wird.
Das darf im Rückschluss aber nicht dazu führen, dass jeder
Schadenseintritt auch zu einer strafrechtlichen Haftung der
Vermögensverwalter führt (Vorstände und verantwortliche Mitarbeiter).
Jeder gewerblichen Investitionsentscheidung und vor allem jedem
Risikogeschäft im Versicherungs- und Kreditwesen liegt das immanente
Risiko des Scheiterns zugrunde.
Nach seiner weiteren Auseinandersetzung bestätigt das BVerfG zunächst
die gefestigte Fachrechtsprechung zur Vereitelung von
Gewinnaussichten,
in denen das Handeln des Täters dazu führt, dass sich konkrete,
gesicherte Aussichten auf Vermögensmehrung - das Schrifttum spricht von
„Anwartschaften“ oder „Exspektanzen“ - nicht realisieren
(14).
Das ist zum Beispiel dann der Fall, wenn der Täter bereits bestehende
schwarze Kassen im Ausland gegenüber dem Vorstand verschweigt oder einen
vorteilhaften Abschluss dadurch vereitelt, dass er ihn an einen
Dritten vergibt, von dem er sich eine Zuwendung versprechen lässt, die
natürlich in die Preisbildung einfließt. Bestechlichkeit nennt man das
wohl.
Im Zusammenhang mit dem "entgangenen Gewinn" wendet sich das BVerfG
auch gegen eine rein handelsrechtliche Bewertung der Vermögensbilanz,
weil sie strikt das Vorsichtsprinzip umsetzt (
§ 252 Abs. 1 Nr. 4 HGB). Es zwingt im Interesse des Verkehrsschutzes
im Zweifel zu einer Unterbewertung von Vermögenspositionen und weicht
damit
von einer rein wirtschaftlichen Betrachtungsweise gerade ab
(15).
Die fraglichen schwarzen Kassen waren unter fremden Firmen und
Stiftungen eingerichtet, so dass die Siemens AG unter keinem rechtlichen
Gesichtspunkt auf sie zugreifen konnte. Der Schaden beträgt in diesen
Fällen die vollen Summen der schwarzen Kassen.
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Im
Zusammenhang mit den außerordentlichen Prämien, die die
Betriebskrankenkasse gezahlt hatte, sieht das BVerfG einen Verstoß gegen
eine gesetzliche Ordnungsvorschrift, hier dem Grundsatz der
Wirtschaftlichkeit und Sparsamkeit nach
§ 4 Abs. 4 SGB V. Trotz seiner Allgemeinheit schränkt der
Grundsatz die Handlungsspielräume der Geschäftsführung so stark ein,
dass der gravierende Charakter einer Pflichtverletzung nicht im
einzelnen ausgeführt werden musste
(16).
Der Schaden besteht aus der Summe der Provisionen.
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ungesicherte Kredite |
Wegen
der Vergabe unzureichend abgesicherter Bankkredite bezieht sich das
BVerfG zunächst auf gesetzliche und unternehmensinterne Richtlinien
sowie auf die allgemeinen bankkaufmännischen Grundsätze zur
Kreditvergabe als allgemeine Regeln des Handelslebens. In Bezug auf die
Handlungsanweisungen und -grenzen bei der Kreditvergabe ist nach der
Einschätzung des BVerfG die Rechtsprechung des BGH hinreichend bestimmt
(18).
Im Folgenden geht das Gericht auf die Bewertung des Schadens ein,
soweit er aus bilanziellen Bewertungsvorschriften abgeleitet wird. Dem
widerspricht das BVerfG im Grundsatz nicht
(19).
Die Gefahr der Überdehnung des Schadensbegriffes sieht das BVerfG
jedenfalls dann, wenn die Rechtsprechung für einen Vermögensnachteil
allein abstrakte Regelwidrigkeiten ausreichen lässt, ohne dass der durch
sie ausgelöste Schaden nicht seiner Mindesthöhe nach
festgestellt wird
(20).
Dazu sind die anerkannten Bewertungsverfahren und
unvermeidlich verbleibenden Prognose- und Beurteilungsspielräume ...
durch vorsichtige Schätzung auszufüllen
(21).
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kein abstrakter Gefährdungsschaden |
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Die
Anforderungen des BVerfG ähneln denen, die vom BGH vereinzelt schon 2009
entwickelt worden sind. Darin nehmen beide den Straftatbestand der
Untreue ernst als das, was er ist: Ein Erfolgsdelikt ohne Strafbarkeit
des Versuchs und eben kein Gefährdungsdelikt.
Erfolgsdelikte beschränken sich auf die bösen Folgen des strafbaren
Handelns, Gefährdungsdelikte betrachten das Handeln ungeachtet der
bereits eingetretenen Folgen. Den Obergerichten ist Recht darin zu
geben, dass die Strafbarkeit eines nur abstrakten Gefährdungsschaden den
Untreuetatbestand überdehnt. Sie führt zur Bestrafung von
Handlungsunrecht. Das darf der Gesetzgeber durch Gesetz anordnen, die
Gerichtsbarkeit aber nicht im Wege der Auslegung aus unbestimmten
Rechtsbegriffen wie dem "Nachteil" in
§ 266 StGB entwickeln.
Die neue
Rechtsprechung hat jedoch auch neuen Streiten Tür und Tor geöffnet, weil
jetzt über die Qualität von "Schaden" und "Nachteil" gestritten werden
muss.
Das wird
zunächst den entgangenen Gewinn bei Geschäftsabschlüssen betreffen.
Das betrifft auch das Recht zur Haushaltsuntreue. Muss ein für
Vertragsabschlüsse Zuständiger immer das günstigste Angebot annehmen
oder darf er die Zuverlässigkeit eines Anbieters, die er in der
Vergangenheit bewiesen hat, oder seine Bestandsfähigkeit im Hinblick auf
die Gewährleistung oder Folgeaufträge als wirtschaftliche Wertfaktoren
berücksichtigen? Nach Maßgabe des Vergaberechts ist das grundsätzlich
zulässig, so dass es an der Pflichtwidrigkeit mangelt.
Kein bezifferbarer Schaden dürfte hingegen eintreten, wenn eine Einrichtung,
die dem öffentlichen Haushaltsrecht unterliegt, eine Ausgabe in einen
Titel bucht, der für sie nicht bestimmt ist, wenn beide Titel der
derselben Haushaltsgruppe angehören
(22).
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Der
Folgeschaden kommt zu neuer Bedeutung. Als tatbestandlicher Schaden beim
Betrug wird grundsätzlich nur der angenommen, den der Betrüger
einstreicht. Für den Betrogenen sind jedoch auch die Kosten für die
Rechtsverfolgung oder für die Zwischenfinanzierung des erlittenen
Schadens von Bedeutung. Diese Werte werden sonst nur bei der
Strafzumessung als Folgen der Tat betrachtet (
§ 46 Abs. 2 StGB). Bei "einer rein wirtschaftlichen
Betrachtungsweise" sind sie zweifellos Kosten, die ohne das
Schadensereignis nicht erforderlich geworden wären.
Besonders
schwierig wird die Schadensfrage bei Risikogeschäften zu klären sein. Es
liegt in ihrer Natur, dass sie schief gehen können.
Bei untreuen Einzelgeschäften - wie der Plattenbaufinanzierung - sind
die Schwierigkeiten geringer. Wie gehabt ist zunächst nach der
Pflichtwidrigkeit zu fragen, also danach, ob die gesetzlichen
Vorschriften, die allgemeinen Regeln des Handelsverkehrs und die
unternehmensinternen Vorschriften eingehalten wurden. Steht die
Rechtswidrigkeit fest, dann kann der Verlust durch das isolierte
Geschäft beziffert werden.
Bei
Handlungen, die sich auf eine Geschäftssparte, auf den Unternehmenswert
oder auf Marktfaktoren beziehen, wird die Schadensberechnung ganz
schwierig. Auch hier ist zunächst nach der Rechtswidrigkeit und dann
nach der Schadenskausalität zu fragen. Dabei stellt sich nämlich die
Frage, welchen Einfluss die untreue Handlung neben anderen
wertmindernden Faktoren hat, zum Beispiel in einem insgesamt maroden
Aktien- und Wertpapiermarkt oder neben anderen unpopulären
Unternehmensentscheidungen
(23).
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vorsichtige Schätzung |
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Die (negative) Wertberichtigung ist die Konsequenz aus einem
erkannten Risiko; sie ist weder mit diesem Risiko noch gar mit dem
wahrscheinlich erwarteten zukünftigen Verlust selbst identisch.
Letzteres wird augenfällig bei der Schadenshöhe. Diese hängt von dem
prognostizierten Risiko ab und wird daher in aller Regel den vollen
nominellen Wert des verlustgefährdeten Vermögensgegenstands nicht
erreichen; zwischen dem erwarteten Schaden und dem gegenwärtigen besteht
also regelmäßig ein quantitativer Unterschied (...) Die
Ausdrücke „Gefährdungsschaden“ oder „schadensgleiche
Vermögensgefährdung“ weisen mithin in der Sache nicht etwa auf eine
richterrechtlich geschaffene besondere Kategorie von Gefährdungsdelikten
hin; sie bezeichnen vielmehr eine nicht drohende, sondern eingetretene
Vermögensminderung
(24). |
Zu den Vermögensgegenständen des Umlaufvermögens, für die gemäß
§ 253 Abs. 4 Satz 1, 2 HGB eine Abschreibungspflicht auf
einen am Abschlussstichtag niedrigeren „beizulegenden Wert“ besteht,
zählen nach
§ 340e Abs. 1 Satz 2 HGB grundsätzlich alle durch Banken
ausgereichte Kredite (...). Ist aufgrund fehlender Bonität des
Schuldners und fehlender Sicherheiten konkret erkennbar, dass mit einem
teilweisen oder vollständigen Forderungsausfall zu rechnen ist, muss
folglich eine Einzelwertberichtigung gebildet oder sogar eine
Direktabschreibung vorgenommen werden (...), so dass das Vermögen der
Bank bei der gebotenen wirtschaftlichen Betrachtung bereits durch den
Vertragsschluss (die verbindliche Kreditzusage) wegen der
Minderwertigkeit des Gegenleistungsanspruchs negativ verändert wird
(vgl.
BGH, Beschluss vom 18. Februar 2009 - 1 StR 731/08 ...).
(25). |
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Der Begriff "vorsichtige Schätzung",
den das BVerfG wegen der Schadensbewertung verwendet, birgt Sprengstoff in sich. Er
kann bedeuten, dass nach Maßgabe des kaufmännischen Vorsichtsprinzips zu
bewerten ist. Das kann für konservative "mündelsichere"
Vermögensverwaltungen sicherlich gelten, die mit der wirtschaftlichen
Allgemeinentwicklung trittbrettfahren und dennoch nicht gegen
Katastrophen oder Marktzusammenbrüche gefeit sind.
Das profitorientierte Unternehmen muss das
eingegangene Risiko selber tragen. Geht das Risikogeschäft schief,
stellt sich nur die Frage danach, ob der Mitarbeiter im Rahmen seiner
Kompetenzen gehandelt hat, also nach der Pflichtwidrigkeit.
Erfolglosigkeit als solche mag sich in seiner Vergütung oder in einer
zivilrechtlichen Einstandspflicht (Garantie) niederschlagen, nicht aber
darin, dass er auch strafrechtlich haftet.
Eine
Pflichtwidrigkeit vorausgesetzt stellt sich bei Risikogeschäften die
Frage nach der Bewertung besonders.
Die kaufmännischen Bewertungsvorschriften folgen tatsächlich dem
Vorsichtsprinzip und dienen, wie das BVerfG richtig sagt, der
Verkehrssicherheit. Sie lassen Raum für stille Reserven, über die, wenn
sie sich wirklich einmal realisieren lassen, der Kaufmann, seine
Gläubiger und die Steuerverwaltung freuen dürfen.
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Das Strafrecht fragt jedoch nach den Folgen des Täterhandelns. Die
stillen Reserven, die das Opfer bilden darf, dürften dem Täter nicht
als Schaden vorgeworfen werden. Das würde dazu führen, dass die "Vorsicht" nicht dem Opfer,
sondern dem Täter zu Gute kommen müsste. Bei der sachverständigen Begutachtung
des Schadens ist dann nicht die kaufmännische Betrachtung gefragt,
sondern eine mehr objektive, die sich an den direkten Auswirkungen des Täterhandelns
orientiert.
Das steht
im Widerspruch zu der neueren Rechtsprechung des BGH. Diese deutet
nämlich an, dass die handels- und steuerrechtlichen
Bewertungsvorschriften anzuwenden sind. Damit würde in Kauf
genommen werden, dass der Täter benachteiligt wird, weil die Vorsicht
nicht ihm, sondern nur dem geschädigten Vermögen zu Gute käme.
Dem BGH
folgt auch das BVerfG, indem es die handelsrechtlichen
Bewertungsvorschriften der Schadensermittlung zugrunde legt (siehe
Kästen links).
Die Rechtspraxis und die Rechtsprechung werden sich mit den Einzelheiten
auseinandersetzen müssen |
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Fazit |
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In großen Teilen der Bevölkerung dürfte das Urteil negativ
aufgenommen werden, wird doch bei Erwerbslosen schon bei kleinsten
Summen schnell wegen Sozialbetrug verurteilt und sanktioniert
(26).
Nowaks Kritik in
geht fehl. Dort,
wo die Schäden einfach zu beziffern sind - und das sind die meisten
Fälle, ändert sich nichts an der Strafbarkeit und an der Justizpraxis.
Nur wenn es um mehr abstrakte Gefährdungsschäden geht, wird ein
Mehraufwand zu befürchten sein, der dem Gesetz und nicht etwa einer
Marotte des BVerfG geschuldet ist.
Die Kritik bestätigt hingegen die allgemeine Tendenz zur
traditionellen Neiddebatte in der besonderen Ausprägung, dass "die da
oben" sowieso machen können was sie wollen, ohne dafür einstehen zu
müssen. Darin ist ein wahrer Kern, der jedoch nicht die ausführenden
Personen trifft, sondern die, die kurzfristigen oder unmäßigen Profit
einstreichen wollen und dazu unwägbare Risiken zulassen und fordern.
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Der
Beschluss des BVerfG stabilisiert und unterstützt die Rechtsprechung des
BGH zum Vermögensstrafrecht und besonders zum Untreuetatbestand.
Soweit der Gefährdungsschaden auf den Prüfstand gestellt wird, ist
das über kurz oder lang sowieso zu erwarten gewesen. Die Ausführungen
des BVerfG sind richtungsweisend und nachvollziehbar.
Unausgesprochen enthalten sie auch die Aufforderung an den
Gesetzgeber, sich die Frage nach der Pflichtwidrigkeit im Zusammenhang
mit Risikogeschäften zu stellen. Er hat es in der Hand, durch Gesetz
Handlungsunrecht ungeachtet eines realisierten Schadens zu bestimmen.
Weitere Einzelheiten: |
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Anmerkungen |
|
(1)
BVerfG, Beschluss vom 23.06.2010 - 2 BvR 2559/08,
105/09, 491/09
(2)
Schaden und schadensgleiche Vermögensgefährdung, 31.01.2010
(3)
BGH, Urteil vom 29.08.2008 - 2 StR 587/07
(4)
BVerfG, Beschluss vom 10.03.2009 - 2 BvR 1980/07
(5)
Ebenda
(4), Leitsatz 6.
(6)
Der Begriff des Schadens ist beim Betrug und bei der Untreue gleich;
Beeinträchtigung und Verlust, 31.01.2010
(7)
BGH, Beschluss vom 18.02.2009 - 1 StR 731/08, Rn
12.
(8)
BGH, Urteil vom 14.08.2009 - 3 StR 552/08
(9)
Kritik von:
Jochen Thielmann, Andrea Groß-Bölting,
Die "signifikante Erhöhung der Leistungswahrscheinlichkeit" als
Vermögensschaden i.S.d. § 263 StGB,
hrr-strafrecht Januar 2010.
(9a)
BVerfG, Beschluss vom 07.11.2011 - 2 BvR 2500/09,
1857/10, Rn 162 ff
(10)
Verständliche Zusammenfassung:
BGH,
Verfassungsbeschwerden gegen Verurteilung wegen Untreue
teilweise erfolgreich, Presseerklärung vom 11.08.2010.
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(11)
Siehe
(3) und Kasten
oben links.
(12)
(2), Rn. 77 bis 84; siehe auch den Auszug:
BVerfG, Ausführungen zum Grundsatz „keine Strafe ohne Gesetz“
(Lesehilfe).
(13)
(1), Rn. 85 bis 115; Zitat im Kasten
oben links Mitte: Rn. 114; siehe auch den Auszug:
Ausführungen zum Untreuetatbestand (Lesehilfe).
(14)
(1), Rn. 120.
(15)
(1), Rn. 123.
(16)
(1), Rn. 128.
(17)
(1), Rn. 131.
(18)
(1), Rn. 134.
(19)
(1), Rn. 140 bis 146.
(20)
(1), Rn. 149.
(21)
(1), Rn. 151.
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|
|
(22)
Das öffentliche Haushaltsrecht unterscheidet ganz besonders zwischen dem
Verwaltungshaushalt, aus dem die laufende Verwaltung finanziert wird,
und dem Investitionshaushalt. Der Verwaltungshaushalt muss aus Einnahmen
vollständig gedeckt sein. Der Investitionshaushalt ist hingegen
wertbildend und darf deshalb aus Krediten finanziert werden. Die
Kreditfinanzierung ist wegen der Kreditzinsen ein Schadensfaktor, wenn
damit verwaltungshaushaltliche und nicht wertbildende Leistungen bezahlt
werden.
(23) Ich
denke dabei an das verkorkste Betriebsklima bei der France Télécom (
Selbstmordserie, 13.09.2009), bei den Datenskandalen der Deutschen
Bahn (noch freundlich:
Mitarbeiterdaten und Korruption, 31.01.2009; nicht mehr freundlich:
viel Feind, viel Ehr, 03.02.2009) oder an die kleinen Schweinereien
(
fast unschuldig, 26.08.2008).
(24)
(1), Rn. 142.
(25)
(1), Rn. 143.
(26)
Peter Nowak, Wann werden Manager einer Bank untreu?
11.08.2010
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Cyberfahnder |
|
© Dieter Kochheim,
11.03.2018 |