Unter
"Internetkriminalität" subsumieren "Cyberfahnder", wie einer davon
kürzlich im Rahmen einer recht wirren Argumentation im Spiegel zugab -
auch "Alltagsstraftaten" wie "Verunglimpfung". Gegen solche Delikte, von
denen sich Politiker und große Unternehmen besonders häufig betroffen zu
sehen scheinen, helfen nationale Verbotsregeln und
Vorratsdatenspeicherungsgesetze nur bedingt - denn bereits jetzt gibt es
beispielsweise in Deutschland eine ganze Reihe von Personen und Firmen,
die so exzessiv abmahnen, dass sich die kritische Berichterstattung über
sie praktisch vollständig ins Ausland verlagerte.
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11-01-29
Neue
Spitzenwerte bei der Aufmerksamkeit gegen den Cyberfahnder haben Mühlbauers
Auseinandersetzung
(1)
mit dem
Spiegel-Interview
(2)
und ein weiteres Zitat von mir bei Zeit online
hervorgerufen [siehe
unten].
Mühlbauer wirbelt nun alles durcheinander und begreift die
Bedeutung der Bestandsdaten nicht.
Die Vorratsdatenspeicherung ist die Verpflichtung von Zugangsprovidern
zur Speicherung von Verkehrsdaten auf eine bestimmte Dauer. Insoweit hat
das Bundesverfassungsgericht auch bei einer Speicherdauer von 6 Monaten
keine durchgreifenden Bedenken geäußert
(3).
Bei der Auskunft über Bestandsdaten (siehe
auch
§§ 14,
15 TMG) im Zusammenhang mit dynamisch
vergebenen IP-Adressen muss der Provider auf die Verkehrsdaten
zurückgreifen, um seinen Kunden zu identifizieren. Insoweit erfolgt
keine Auskunft über Verkehrsdaten, sondern über die Person eines Kunden. Auch wegen dieser
Verwertung wegen aller Kriminalitätsformen
hat das BVerfG keine grundsätzlichen Bedenken geäußert
(4).
Insoweit geht es nicht darum, "Internetkriminalität" zu definieren,
wie Mühlbauer meint, sondern um die schlichte Frage, in welchem Rahmen
und mit welchen zeitlichen Schranken der Staat inhaltlich die Verfolgung
von Rechten (
Art 3 GG) und die Rechtsweggarantie (
Art 19 Abs 4 GG) gewährleistet.
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Die Pflicht der Provider, vorübergehend Verkehrsdaten zu speichern,
korrespondiert mit der Pflicht, sie gar nicht erst zu erheben oder
alsbald zu löschen (
§ 96 Abs 1 S 3, Abs 2 TKG).
Wenn Auskünfte über Bestandsdaten dadurch ausgeschlossen werden, dass
die dazu benötigten Verkehrsdaten nicht zur Verfügung stehen, dann wird
jedenfalls in allen Fällen die Rechtsschutzgarantie verweigert, bei
denen dynamische IP-Adressen eine Rolle spielen. Das betrifft die
Strafverfolgung ebenso wie die Abmahner und, das ist mir besonders
wichtig, jeden Bürger, der in seinen Rechten verletzt wird.
Erst bei der auf
§
100g StPO gründenden Herausgabe von Verkehrsdatenbeständen zieht das
BVerfG die Grenze und beschränkt sie auf die schwere Kriminalität, die
vor allem in dem
Straftatenkatalog des
§ 100a Abs 2 StPO definiert ist. Betroffen davon sind etwa
Funkzellendaten, um Täter zu identifizieren, oder die Geodaten eines
vorgegebenen Zeitraums, um Bewegungsprofile zu erstellen oder den
Aufenthaltsort eines Anschlussinhabers zu ermitteln.
Insoweit bleibe ich dabei, dass mit der Beschränkung auf die schwere
Kriminalität die Strafverfolgung ihre Aufgabe sinnvoll wahrnehmen
könnte.
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Eine vergleichbar effektive Aufklärungsmöglichkeit liegt
insbesondere nicht im sogenannten Quick-Freezing-Verfahren, bei dem an
die Stelle der anlasslos-generellen Speicherung der
Telekommunikationsdaten eine Speicherung nur im Einzelfall und erst zu
dem Zeitpunkt angeordnet wird, zu dem dazu etwa wegen eines bestimmten
Tatverdachts konkreter Anlass besteht. Ein solches Verfahren, das Daten
aus der Zeit vor der Anordnung ihrer Speicherung nur erfassen kann,
soweit sie noch vorhanden sind, ist nicht ebenso wirksam wie eine
kontinuierliche Speicherung, die das Vorhandensein eines vollständigen
Datenbestandes für die letzten sechs Monate gewährleistet.
(6) |
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Quick
Freeze ist keine ernsthafte Alternative zur Vorratsdatenspeicherung.
Damit hat sich hinlänglich das BVerfG auseinander gesetzt [siehe Kasten
links;
(6)].
Die anlassbezogene Speicherung aktueller und künftiger Verkehrsdaten und
die Sicherung bereits gespeicherter Verkehrsdaten leistet trotz der
Einschränkungen durch das BVerfG der geltende
§
100g StPO.
Ganz andere
Fragen stellen sich wegen der Richtigkeit von Bestandsdatenauskünften
und des Datenschutzes für Vorratsdaten insgesamt. Insoweit hat das BVerfG durchgreifende
Bedenken gegen die alte Fassung des
§ 113a TKG gehabt
(7),
die ich teile.
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Von
meiner
Stellungnahme lässt Kleinz zwei Sätze über:
"Wenn IPv6 das gängige IPv4 vollständig ablöste und es keine
dynamische Zuweisung von IP-Adresse mehr gäbe, würde zumindest für die
Bestandsdatenabfrage keine Vorratsdatenspeicherung nötig sein", sagt
Dieter Kochheim, Staatsanwalt in Hannover und Betreiber des Portals
cyberfahnder.de. "Diese vollständige Ablösung sehe ich jedoch nicht."
(8)
Kleinz
beleuchtet einen besonderen Aspekt, die Einführung des
Internetprotokolls in der Version 6
(9).
Es erweitert den möglichen Adressraum nicht nur äußerst, sondern könnte
die Vergabe dynamischer IP-Adressen vollständig ablösen.
Seine These stimmt, dass es mit IPv6 keine Vorratsdatenspeicherung
bräuchte, um vollständige Auskünfte über Bestandsdaten zu erteilen. Nur
ist die Ablösung des IPv4 auf absehbare Zeit nicht zu erwarten. Daneben
blieben alle Probleme, die mit der Verfolgung der besonders schweren
Kriminalität und den Ferkeleien von
Schurkenprovidern verbunden sind (
Whois Protection). Alle weiteren Einzelheiten ergeben sich, wie
gesagt, aus
meiner
Stellungnahme vom 17.01.2011.
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