Man bräuchte nur 5,5 Prozent aller Verbindungen zu verändern, also
etwa jede zwanzigste, um die Robustheit des Internet-Backbone um 55
Prozent und die Ausfallsicherheit des Stromnetzes um 45 Prozent zu
steigern. ...
Schneider hat sogar konkrete Tipps parat: "Die ersten beiden Links,
die man verändern muss, um 15 Prozent robuster zu sein, sind in
Norditalien an der Schweizer Grenze." Ebenfalls oben auf der
Effizienzskala liegen Verbindungen zwischen Deutschland und Polen und in
Frankreich.
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11-02-46
Das
robusteste Netz mit der höchsten Ausfallsicherheit würde über Knoten
verfügen, von denen jeder mit allen anderen Knoten verbunden ist. Es ist
nicht realisierbar. Das unsicherste Netz bildet dagegen die sternförmige
Architektur. Fällt ihr zentraler Knoten aus, dann bricht das ganze Netz
zusammen.
Ausgehend von solchen einfach anmutenden Aussagen hat ein
internationales Forscherteam für die US-Akademie der Wissenschaften -
PNAS - die Ausfallsicherheit von Stromnetzen und die internationalen
Internet-Backbones untersucht
(1).
Dazu haben sie nicht nur betrachtet, was beim Ausfall eines einzelnen
Knotens geschieht, sondern auch, wie viele Knotenausfälle vom Netz
verkraftet werden können, bis es insgesamt ausfällt.
Nach ihren Berechnungen sind das europäische Stromnetz und der
internationale Internet-Backbone fragile Konstruktionen. Es würde
reichen, 10 Prozent der Kraftwerke abzuschalten und 12 Prozent der
Internetknoten, um die Netze insgesamt kollabieren zu lassen. Im
Vergleich dazu ist das internationale Flugverkehrsnetz, auf das die
Methoden gleichermaßen angewendet werden können, erheblich stabiler.
Die Studie
ist kostenpflichtig und ich habe sie nicht gekauft. Deshalb kann ich den
Wert der Aussagen nur oberflächlich abschätzen.
Die
Leistungsfähigkeit von Netzen hängt von ihrem Lastverhalten ab. Das sind
bei Kabelnetzen die physikalische Bandbreite der Verbindungen und die
Verarbeitungskapazität ihrer Knoten. Auf den Flugverkehr übertragen
bedeutet das zum Beispiel: Eine Propellermaschine fliegt langsamer und
kann nur weniger Menschen transportieren als ein Düsenjet (Bandbreite).
Der kann aber nicht überall landen und starten (Knotenkapazität).
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Die
Frage nach der Robustheit von Netzen setzt voraus, dass beim Ausfall
einer Strecke oder eines Knotens deren Aufgaben von anderen
Netzkomponenten übernommen und ersetzt werden können.
Das gelingt aber nur in Grenzen und hängt davon ab, wie viel Mehrlast
die Knoten und Strecken vertragen. Ein leistungsfähiger Flughafen wie
der in Frankfurt am Main wird einen Teil der Abfertigungskapazität von
Schiphol (Amsterdam) übernehmen, ihn aber nicht ersetzen können.
Dass die Lastgrenzen schnell erreicht sein können, zeigten die vier
gleichzeitigen Kabelausfälle im Nahen Osten Anfang 2008
(2).
In ihrer Folge waren die Callcenter in Ägypten nur begrenzt erreichbar
und die Betreiber in Indien mussten ihre Datendienste für Europa auf dem
Umweg über den Pazifik, den USA und über den Atlantik leiten
(3).
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Schon Ende 2006 kollabierte das europäische Stromnetz für zwei Stunden
(4),
weil eine einzige Hochspannungsleitung über der Ems planmäßig vom Netz
genommen wurde. Am 04.11.2006 schalteten sich wegen Überlastungen binnen
15 Sekunden 14 Schaltstellen des E.ON-Netzes zwischen Niedersachsen und
Bayern ab. Die Auswirkungen davon wurden nicht nur in den Nachbarstaaten
spürbar, sondern bis nach Kroatien und Nordafrika
(5).
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"Netzlast", Kissamos, Kreta
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Am 27.08.2010 testete die europäische Namensraumverwaltung
(6),
RIPE, eine neue Version des Protokolls, mit dem sich Netzknoten
untereinander verständigen
(7).
Ein Fehler im Betriebssystem der Cisco-Router führte für eine halbe
Stunde zum Ausfall von 1 Prozent des Internets. Das mag kein besonders
schwerwiegender Ausfall gewesen sein, zeigt aber die Anfälligkeit des
Gesamtsystems bei der Störung nur eines der maßgeblichen Knoten.
Diese
Beispiele widersprechen der Robustheits-Studie nicht, sondern belegen nur
die Anfälligkeiten, mit denen Strom- und Kommunikationsnetze im
Zusammenhang mit einfachen Ausfällen und Störungen rechnen müssen. Die
Umverteilung von Lasten in solchen Fällen ist eine vernünftige
Strategie, die leicht ihre Kapazitätsgrenzen auch an den
Umleitungsstrecken erreichen kann.
Die angeführten Beispiele zeigen, dass bereits leichte Störungen zu
kaskadierenden Folgen führen können. Ob diese Effekte hinreichend
berücksichtigt wurden, ergibt sich aus der Meldung jedenfalls nicht.
Dennoch ist
der Rat der Forscher richtig und beachtlich, Netze ohne unbezahlbare Kapazitätsausbauten
einfach nur wegen ihrer Topographie zu betrachten und zu optimieren. Auch das erfordert an der einen oder anderen Stelle
Aufrüstung, nicht aber zwingend mehr Knoten und Verbindungen.
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Ob diese
Sichtweise wirklich bei den Verantwortlichen für die Kommunikationsnetze
ankommt, ist fraglich. Sie verlangt danach, die einfache Technik und
Physik der Netze nach ihren Kapazitäten und Ausweichstrecken im Falle
einer Störung zu befragen. Solche "einfachen" Fragen werden vielfach
verdrängt und an ihrer Stelle die Protokollsicherheit an den Knoten
diskutiert, um Tunnel-Techniken
(8)
- VPN
(9),
MPLS
(10)
- zu optimieren.
Das ist vergleichbar mit einer Diskussion über die Wirksamkeit von
Wegfahrsperren in Autos ohne auch das Tankvolumen, den Verbrauch und die
Straßeneignung zu betrachten.
Jedenfalls in Deutschland gibt es kaum redundante Verbindungsnetze,
was sich angesichts der Netzabhängigkeit bei Kritischen Infrastrukturen
(11)
schnell rächen könnte.
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(1)
Matthias Gräbner, Standhaftere Netzwerke, Telepolis
23.02.2011
(2)
4 Seekabel im Nahen Osten gestört, 05.02.2008
(3)
Siehe auch:
internationales Kabelnetz, 08.07.2010
(4)
Große historische Stromausfälle, freenet Lexikon; siehe auch
Stromnetze, 22.02.2011 (Nachweise).
(5)
Siehe:
Bericht der BNA über die Systemstörung im deutschen und europäischen
Verbundsystem am 4. November 2006, BNA 26.02.2007; Grafik: S. 9.
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(6)
Siehe zur Organisation der internationalen Netzverwaltung:
Zentralismus und Regionalisierung, 18.07.2010.
(7)
Cisco-Kaskade, 04.09.2010
(8)
Verschlüsselung. Tunnelung, 30.03.2008
(9)
Overlay-Netze
und VPN, 30.03.2008
(10)
bundesweites Verbindungsnetz, 07.02.2011
(11)
Schutz Kritischer Infrastrukturen, 13.02.2011;
Grundversorgung als Kritische Infrastruktur, 06.02.2011.
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