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März 2011
21.03.2011 Schuld und Verständigung
     
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  Jüngste Rechtsprechung des BGH zur Schuld und zur Verständigung.

 
Dabei wird allerdings der bisher nicht gewürdigte Umstand in Betracht zu ziehen sein, dass dem Vermögensdelikt eine Auseinandersetzung zwischen Verbrechern zugrunde liegt, die der Nebenkläger durch seine Mitwirkung an der Entführungstat im Sinne eines schuldhaften Vorverhaltens selbst mit verursacht hatte. (1) <Rn 7>
 

Es ist ohne Weiteres zu erwarten, dass ein in Deutschland seit vielen Jahren lebender ausländischer Mitbürger die Ge- und Verbote der hier geltenden und ihm bekannten Rechtsordnung akzeptiert und insoweit in der Lage ist, sich von abweichenden Vorstellungen und Erfahrungen in seinem Heimatland freizumachen. (5) <Rn 14>
 

Eine Verständigung darüber, dass keine bandenmäßige Begehung vorliegt, ist in diesem Fall, in dem es nicht nur um eine strafzumessungsrelevante Feststellung geht, unzulässig (vgl. hierzu auch BGH, Beschluss vom 28. September 2010 - 3 StR 359/10, Rn. 8). (8) <S. 3>
 

11-03-29 
Opfer sind nicht immer nette Menschen, sondern können auch ihrerseits Verbrecher sein. Sie werden dadurch nicht vogelfrei oder - m.a.W. - zum Freiwild. Dennoch ist in die Würdigung der Schuld, die immerhin die Strafschwere bestimmt, auch das schuldhafte Vorverhalten des Opfers einzubeziehen. So zu recht der BGH [Kasten links oben, (1)].

Seit Jahren läuft die Gebetsmühle aus Anlass des Migrationshintergrundes von keineswegs immer nur kleinkriminellen Straftätern (2): Aufgrund ihres kulturellen Hintergrundes hätten sie ganz andere Wertvorstellungen als die Eingeborenen hierzulande und im Knast gehe es ihnen besonders schlecht, weil sie sich nicht verständigen könnten. Deshalb bräuchten sie kürzere Strafen und müssten besonders schnell in ihre Heimat und zu ihrer Familie abgeschoben werden. Das gelte natürlich auch für solche Hintergrundmigranten, die in Deutschland aufgewachsen sind.

Dem Unfug von der besonderen Strafempfindlichkeit ist der BGH im Juli des letzten Jahres entgegen getreten (3). Über die Grenzen der gastgebenden Toleranz bei schweren Straftaten, angeblichen Ehrenmorden, Zwangsheiraten, sklavischen Unterwerfungen, sexuellen Verstümmelungen oder Gewaltexzessen habe ich mich bereits böswillig ausgelassen (4).

Ganz klare Worte findet der BGH jetzt wegen eines mutmaßlichen Totschlägers, der in Deutschland aufgewachsen ist, zwei akademische Ausbildungen abgeschlossen hat und seine dreijährige, eingenässte und nervende Tochter schlug, worauf sie in der Badewanne ertrank. Er darf sich nicht einfach auf archaisch anmutende, ihm nur überlieferte heimatliche Erziehungsmethoden berufen, sondern hat sein Kind gefälligst zu retten [Kasten links Mitte, (5)], zumal er mit seiner (heftigen ?) Ohrfeige die Ursache für das Ertrinken seines Kindes gesetzt hat.
  

 
Ein moderner Evergreen der Strafrechtspraxis ist die Verständigung. Dieser "Deal" wurde vom Gesetzgeber 2009 mit ausgekünstelten Einzelheiten geregelt und formalisiert (6). Der BGH hat dem unmutigen Entgegenkommen der Tatgerichte im Zuge von Verfahrensabsprachen eine Reihe von Grenzen gesetzt und vor allem klar gemacht, dass Rechtsfragen und die willkürliche Unterschreitung angemessener Strafen nicht verhandlungsfähig sind (7).

Dem folgt das Gericht auch jetzt, indem es die rechtliche Frage nach dem Vorliegen von Qualifikationsmerkmalen von der Verständigung ausschließt [Kasten links unten, (8)]. Dabei ging es um die Frage, ob der Angeklagte als Mitglied einer Bande handelte.

Am Rande bemerkt jetzt auch der 1. Strafsenat, dass er dazu neigt, dass im Rahmen der Verständigung nicht nur eine Obergrenze, sondern auch eine Untergrenze vereinbart werden muss.

Das richtet sich gegen die sogenannte "Punktstrafe", die dem Gericht keine echte Entscheidungsfreiheit mehr lässt.

Ich weiß noch ganz genau, dass wir solche "Strafschneisen" schon Mitte der Neunziger Jahre vereinbart haben und das ganz ohne die kontrollierenden Geistesblitze von der hohen Rechtsprechung und vom Bundesgesetzgeber.

Die Konsequenz daraus ist, dass die verhandelten Strafobergrenzen höher werden müssen, um dem Gericht genügend Spielraum zwischen der absoluten Schmerzgrenze der Staatsanwaltschaft (Strafuntergrenze) und der Schmerzgrenze des Angeklagten (Strafobergrenze) zu schaffen.
 

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(1) BGH, Beschluss vom 23.02.2011 - 5 StR 23/11

(2) Siehe auch: Kriminalität bei Aussiedlern und Ausländern, 05.09.2008.

(3) besondere Strafempfindlichkeit, 29.08.2010;
BGH, Urteil vom 08.07.2010 - 3 StR 151/10

(4) multikulturelles Zusammenleben, 14.11.2010

(5) BGH, Urteil vom 27.01.2011 - 2 StR 493/10
 

 
(6) Rechtsmittel nach einer Verständigung im Strafverfahren, 04.09.2010

(7) Verständigung #2, 30.11.2010

(8) BGH, Beschluss vom 01.03.2011 - 1 StR 52/11
 

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© Dieter Kochheim, 11.03.2018