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"Bei uns
ist es leider nicht so wie in den USA, wo die Nutzung der Früchte vom
verbotenen Baum auch in den Verfahren tabu ist",
kommentierte der schleswig-holsteinische Datenschutzbeauftragte
Thilo Weichert die Entscheidung gegenüber der Frankfurter Rundschau.
(1)
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Bislang hat
sich der BGH erst mit einer Presseerklärung geäußert
(2),
das schriftliche Urteil vom 14.08.2009 - 3 StR 552/08 - liegt noch nicht
vor
(2a). Datenschützer und andere Halbweise lamentieren dennoch über die
vermeintlichen Vorteile des US-amerikanischen Strafrechts und über
Rechtswidrigkeit.
Das Urteil richtet sich gegen drei Angeklagte im Zusammenhang mit
einer
ausländischen terroristischen Vereinigung (Al Qaida), die vom
Oberlandesgericht Düsseldorf zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt
wurden. Dabei wurden Erkenntnisse aus einer akustischen
Wohnraumüberwachung verwertet (
großer Lauschangriff,
§ 100c StPO), die nach Maßgabe des Rheinland-Pfälzischen Polizei-
und Ordnungsbehördengesetzes durchgeführt worden war.
Der große Lauschangriff ist die Maßnahme mit den tiefsten Eingriffen
in die Grundrechte, die die Strafprozessordnung unter strengen
Anforderungen zulässt. Eine ältere Vorschrift hat das BVerfG 2004
beanstandet
(3),
die geltende Fassung des
§
100c StPO jedoch 2007 "abgenickt"
(4).
Vergleichsweise tief greift die
Onlinedurchsicht in Grundrechte ein, die bislang nur vom BKA-Gesetz
und polizeilichen Landesgesetzen angesprochen wird, nicht jedoch Eingang
in die StPO gefunden hat (
Kollisionsrecht).
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Wenn Ermittlungsergebnisse aus polizeirechtlichen
Eingriffsmaßnahmen im Strafverfahren verwertet werden sollen, greift der
in
§ 161 Abs. 2 StPO festgeschriebene Grundsatz der
Schwellengleichheit. Er besagt, dass die Erkenntnisse aus
Eingriffsbefugnissen aus anderen Gesetzen nur dann verwertet werden
dürfen, wenn sie im vorliegenden Verfahren zulässig hätten erhoben
werden dürfen
(5).
Für die Erkenntnisse aus einem großen Lauschangriff gilt außerdem
§ 161 Abs. 3 StPO, der die Verwertung von einem gerichtlichen
Beschluss abhängig macht.
Die zügig
geäußerte Kritik am BGH verkennt die bestehenden Schutzvorrichtungen der
Strafprozessordnung. Der
Grundsatz der Schwellengleichheit verhindert die ausufernde
Verwertung von Erkenntnissen und der
Schutz des Kernbereichs der persönlichen Lebensführung ist ein
allgemeiner Grundsatz, den das BVerfG auf alle Verfahrensordnungen
anwendet. Einer Verwertung in ihren Grenzen dürfte deshalb nichts
entgegen stehen.
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Die
Kritiker der jüngsten Entscheidung des BGH verkennen wahrscheinlich die
Einstiegshürden, die der Grundsatz der Schwellengleichheit setzt. Er
hatte zu prüfen, ob in dem Verfahren gegen die Al Qaida-Verdächtigen ein
großer Lauschangriff als strafprozessuale Maßnahme hätte angeordnet
werden dürfen, und nicht auch, ob die polizeirechtliche Maßnahme in
jeder Hinsicht rechtmäßig war. Eine solche Überprüfungspflicht erwarte
ich nur wegen offensichtlich rechtswidriger oder willkürlicher
Maßnahmen.
Diese von unserer Rechtsordnung eingegrenzte Sicht auf die aktuelle
Verwertung von Ermittlungserkenntnissen verfolgt eine andere Ausrichtung
als die des US-amerikanischen Rechts, das auch die Beweiserhebung im
einzelnen prüft. Ist sie fehlerhaft, dann bleiben die Erkenntnisse
dort unverwertbar
(siehe Kasten
oben
links).
Das deutsche Recht fragt hingegen nach dem neuen Grundrechtseingriff,
der darin besteht, dass eine Erkenntnis, die in anderem Zusammenhang
gewonnen wurde, jetzt prozessual verwertet werden soll. Damit hebt es
den (aktuellen) Schutz individueller Rechts hervor und vermeidet es,
dass im Strafverfahren alle Einzelheiten der polizeilichen
Beweiserhebung nachvollzogen und geprüft werden müssen - was ein
gefundenes Fressen für alle Strafverteidiger wäre, um Zweifel über Zweifel zu
behaupten.
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Die
schlichte Kritik der "Illegalität", die Stefan Krempl bei
übt
(6),
verkennt die Verwertungsverbote, die
§ 100c Abs. 4 ff. StPO festschreiben. Er folgert daraus, dass das
Polizeigesetz aus Rheinland-Pfalz keinen ausdrücklichen Schutz des
Kernbereichs der persönlichen Lebensführung kennt
(7),
auf eine Rechtswidrigkeit im Ganzen.
Aber auch insoweit wirkt das Gebot der Schwellengleichheit:
Erkenntnisse aus dem Kernbereich der persönlichen Lebensführung dürfen
unter der Regie der StPO nicht übernommen und verwertet werden, so dass
auch kein neuer Grundrechtseingriff eintreten kann.
Ob Rheinland-Pfalz sein Polizeigesetz ändern muss, ist eine andere
Frage. Wegen der Beschlagnahmevorschriften in der StPO hat das BVerfG im
Zusammenhang mit E-Mails beim Hostprovider dieses Erfordernis nicht
gesehen. Der StPO kam dabei zugute, dass sie die "modernen"
Schutzmechanismen im
§ 101 und seinen Verweisen regelt, so dass die Beschlagnahme von
E-Mails in dieses System eingebunden werden kann. Dabei kommt der StPO
auch zugute, dass die einschlägigen Vorschriften vorkonstitutionelles
Recht aus der Zeit vor dem Grundgesetz sind, das wegen seiner
Grundrechtseinschränkungen nicht ausdrücklich deklariert werden muss.
Der Kernbereichsschutz hat sich inzwischen zum allgemeinen Rechtsinstitut
für alle Eingriffsrechte entwickelt, so dass die allgemeinen Gesetze ihn
nicht mehr zwingend ausformulieren müssten, weil er sowieso gilt.
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