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Februar 2012 |
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Verbot von Funkzellenabfragen |
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Fragen wir nach dem Sinn und den Auswirkungen einer solchen Gesetzesänderung, dann eröffnen sich ganz andere Perspektiven: Wir stellen die Fahndung nach Verbrechern ganz ein. Schritt 1: § 100i StPO wird aufgehoben (IMSI-Catcher). Damit wird den Strafverfolgern die technische Möglichkeit entzogen, die Telekommunikationsgeräte der Täter zu erkennen. Schritt 2: Alle in § 101 Abs. 1 StPO genannten Maßnahmen werden aufgehoben. Dann gibt es nichts Böses mehr, keine Postbeschlagnahme, keineTelefonüberwachung, keine Lauschangriffe und keine Observationen. Das reicht aber nicht. Schritt 3: Aufhebung von § 33 Abs. 4 StPO. Diese versteckte Vorschrift erlaubt es, böse Maßnahmen zu beschließen, ohne dass die Betroffenen dazu befragt werden. Das verstößt nämlich gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör ( Art 103 Abs. 1 GG). Schritt 4: Dann können wir auch die §§ 112, 112a, 126a, 230 Abs. 2 und 457 Abs. 2 StPO aufheben, weil Haftbefehle sowieso nicht mehr erlassen werden dürfen, weil sie ohne rechtliches Gehör ergehen. Zu guter Letzt Schritt 5: Aufhebung von § 152 Abs. 2 StPO (Offizialprinzip), dann sind die Staatsanwaltschaft und die Polizei nicht mehr zu Ermittlungen verpflichtet, und besser noch von §§ 160 Abs. 1 und 161 Abs. 1 StPO. Dann dürfen sie überhaupt nicht mehr ermitteln und ich kann intelektuell sauber begründet meine Arbeit einstellen - wie unlängst eine Sitzgruppe des 2. Strafsenats des BGH (4). In die Jahre gekommen und nicht mehr ganz so radikal sind die Grünen (5). Sie fordern etwas schärfere Voraussetzungen - Begrenzung auf den Straftatenkatalog des § 100a Abs. 2 StPO, Erweiterung der Berichtspflichten - insbesondere wegen der erfolglos gebliebenen Abfragen und der Zahl der betroffenen Unverdächtigen - und strengere Einschränkungen wegen der Weiterverwertung (die längst gelten).
Die
Meldungen wegen der Ermittlungen aus Leipzig lassen grüßen. Bei der
Anhörung im Bundestag stießen die bekannten Pro- und Kontra-Positionen
aufeinander und die Presse faselt von einer Rasterfahndung
(6).
Die anderen Fraktionen zeigten jedoch wenig Interesse an den Vorstößen
der Grünen und Linken
(7). |
Beweiskraft von Verkehrsdaten aus Funkzellen | |
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Der grundlegende Grundrechtseingriff bei der Vorratsdatenspeicherung ist die Speicherpflicht (8). Davon reden wir aber nicht, sondern von der Auskunft über alle Verbindungsdaten, die in einer bestimmten Funkzelle - oder aus mehreren Funkzellen im Zusammenhang mit einem bestimmten geographischen Standort - während einer bestimmten Zeitspanne angefallen sind. Von den anderen Verkehrsdatenerhebungen unterscheiden sie sich dadurch, dass die Auskunft nicht geräte- (IMEI) oder anschlussbezogen (IMSI) sind, sondern standortbezogen. In m Zugriff auf diese Daten liegt ein selbständiger, aber abstrakter Grundrechtseingriff, weil sie ohne weitere Aufbereitung ein anonymer Datenbrei sind, der aus sich selbst heraus nichts über die Menschen aussagt, deren Verkehrsdaten darin enthalten sind. Erst durch die Bearbeitung kann ein persönlicher Bezug entstehen. Der Datenbrei kann mit bekannten Anschlussnummern verglichen werden und ein "Treffer" belegt, dass sich die gesuchte Anschlusskennung zu einem bestimmten Zeitpunkt an dem geographischen Standort befunden hat. Man kann auch nach Häufigkeiten suchen und bekommt dadurch die Auskunft, dass sich die Anschlusskennung länger oder mehrfach in dem Bereich aufgehalten hat. Oder nach besonderen Merkmalen, zum Beispiel nach Auslandsverbindungen (der Anschlussnummer oder der Verbindung). Erst in Verbindung mit validen Bestandsdaten bekommen die selektierten Verkehrsdaten aus dem Datenbrei eine persönliche Dimension. Deshalb ist es für die Frage nach der Grundrechtsbedeutung weniger wichtig, dass auf Verkehrsdaten zugegriffen wird, sondern mit welcher Methode und Eingriffstiefe sie ausgewertet werden. Folgt man den Veröffentlichungen in der Presse, dann könnte das gebotene Augenmaß gelegentlich verloren gegangen sein. Die modische und gleichzeitig penetrante Frage danach, wieviele Straftaten durch Verkehrsdaten aufgeklärt werden, lässt sich ganz einfach beantworten: Gar keine! Verkehrsdaten sind nur in der Lage, Kommunikationsbeziehungen zu belegen. Sie kennzeichnen die Kommunikationspartner, aber nur beschränkt auf die Anschlussnummern, die Dauer und die Häufigkeit ihrer Kommunikation. Sie liefern in aller Regel nur den Fingerzeig auf die Richtung, in die sich die weiteren Ermittlungen bewegen sollten.
Eine Ausnahme fällt mir ein. Anhand der Verkehrsdaten konnte die
Einlassung eines Brandstifters widerlegt werden, er habe sich zur
Tatzeit gar nicht am Tatort befunden. Das aber auch nur, weil durch
andere Tatsachen belegt war, dass er das Handy selber bei sich trug. |
Fazit | |
Ja, ich bin für die Vorratsdatenspeicherung, weil ich auch für den Datenschutz bin. In den USA gibt es eine solche Diskussion nicht, weil sie dort mangels strenger Datenschutzvorschriften sinnlos wäre. Ja, ich bin für vernünftige Verwertungsregeln und traue auch nicht allen Zugangsprovidern über den Weg. Ich will die Vorratsdatenspeicherung, damit Bestandsdatenauskünfte möglich bleiben. Das ist eigentlich ihre wichtigtste Funktion. Wenn sich erst das Bewusstsein durchsetzt, dass aufgrund fehlschlagender Bestandsdatenauskünfte keine Rechtssicherheit mehr besteht, haben entweder der Rechtsstaat oder die auf die Kommunikationstechnik angewiesene Wirtschaft verloren. Sie das Vertrauen in sich selber und das der Allgemeinheit in sie. Demokratie und Rechtsstaat brauchen auch die Chancen auf Kontrolle, Nachvollziehbarkeit und Sanktion. Ich will die Vorratsdatenspeicherung auch in
Form von Auskünften über Zeiträume und geographische Standorte haben,
damit die schwere Kriminalität verfolgt werden kann. Verkehrsdaten sind
schwache Beweise, manchmal aber der einzige Einstieg in Erfolg
versprechende andere Ermittlungen - wenn denn die Voraussetzungen im
übrigen stimmen. Insoweit hätte ich mit der Forderung der Grünen nach
einer Zugriffsbeschränkung nach Maßgabe des Straftatenkatalogs wegen der
Überwachung der Telekommunikation ohne Weiteres leben können. |
Anmerkungen | |
(2) Machbarkeitsstudie ohne zureichende Daten und Instrumente, 29.01.2012 (3) Entwurf eines … Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung (Abschaffung der nichtindividualisierten Funkzellenabfrage – § 100g Absatz 2 Satz 2 StPO), BT-Drs 17/7335 vom 18.10.2011 (4) Besetzungsstreit beim BGH, 04.02.2012 (5) Entwurf eines Gesetzes zu einer rechtsstaatlichen und bürgerrechtskonformen Ausgestaltung der Funkzellenabfrage als Ermittlungsmaßnahme, BT-Drs 17/7033 vom 21.09.2011 (6) Rasterfahndung mit Handy-Daten beschäftigt den Bundestag, Heise online 08.02.2012 (7) Silvio Duwe, Wenig Interesse an Begrenzung der Handy-Massenüberwachung, Telepolis 09.02.2012
(8)
Bestands-, Verkehrs- und Vorratsdaten, 29.01.2012 |
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Cyberfahnder | |
© Dieter Kochheim, 11.03.2018 |