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Es gibt zwar kaum noch verfügbare Verkehrsdaten
(1)
und der Strafverfolgung nutzen sollen sie auch nicht
(2).
Jetzt sollen die strafverfahrensrechtlichen Funkzellenerhebungen nach
§
100g StPO ganz verboten werden, meinen Die Linken
(3)
und fordern die Abschaffung des
§
100g Abs. 2 S. 2 StPO. Sie meinen, daraus ließe sich ein allgemeines
Verbot zur Erhebung noch unbekannter Anschluss- und Gerätenummern
herleiten (IMSI, IMEI) und in dem Glauben lassen wir sie erst einmal.
Fragen wir
nach dem Sinn und den Auswirkungen einer solchen Gesetzesänderung, dann
eröffnen sich ganz andere Perspektiven: Wir stellen die Fahndung nach
Verbrechern ganz ein.
Schritt 1:
§ 100i StPO wird aufgehoben (IMSI-Catcher). Damit wird den
Strafverfolgern die technische Möglichkeit entzogen, die
Telekommunikationsgeräte der Täter zu erkennen.
Schritt 2: Alle in
§ 101 Abs. 1 StPO genannten Maßnahmen werden aufgehoben. Dann gibt
es nichts Böses mehr, keine Postbeschlagnahme, keineTelefonüberwachung,
keine Lauschangriffe und keine Observationen. Das reicht aber nicht.
Schritt 3: Aufhebung von
§ 33 Abs. 4 StPO. Diese versteckte Vorschrift erlaubt es, böse
Maßnahmen zu beschließen, ohne dass die Betroffenen dazu befragt werden.
Das verstößt nämlich gegen das Grundrecht auf rechtliches Gehör (
Art 103 Abs. 1 GG).
Schritt 4: Dann können wir auch die
§§ 112,
112a,
126a,
230 Abs. 2 und
457 Abs. 2 StPO aufheben, weil Haftbefehle sowieso nicht mehr
erlassen werden dürfen, weil sie ohne rechtliches Gehör ergehen.
Zu guter Letzt Schritt 5: Aufhebung von
§ 152 Abs. 2 StPO (Offizialprinzip), dann sind die
Staatsanwaltschaft und die Polizei nicht mehr zu Ermittlungen
verpflichtet, und besser noch von
§§ 160 Abs. 1 und
161 Abs. 1 StPO. Dann dürfen sie überhaupt nicht mehr ermitteln und
ich kann intelektuell sauber begründet meine Arbeit einstellen - wie
unlängst eine Sitzgruppe des 2. Strafsenats des BGH
(4).
In die
Jahre gekommen und nicht mehr ganz so radikal sind die Grünen
(5).
Sie fordern etwas schärfere Voraussetzungen - Begrenzung auf den
Straftatenkatalog des
§ 100a Abs. 2 StPO, Erweiterung der Berichtspflichten - insbesondere
wegen der erfolglos gebliebenen Abfragen und der Zahl der betroffenen
Unverdächtigen - und strengere Einschränkungen wegen der
Weiterverwertung (die längst gelten).
Die
Meldungen wegen der Ermittlungen aus Leipzig lassen grüßen. Bei der
Anhörung im Bundestag stießen die bekannten Pro- und Kontra-Positionen
aufeinander und die Presse faselt von einer Rasterfahndung
(6).
Die anderen Fraktionen zeigten jedoch wenig Interesse an den Vorstößen
der Grünen und Linken
(7).
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Die
Vorschläge zur Gesetzesänderung erwecken den Eindruck, dass die aus
Funkzellen stammenden Verkehrsdaten schon die Menschen offenbaren würden,
die hinter den Anschlussnummern stecken könnten. Für sich betrachtet
sind die Daten jedoch anonym. Erst wenn sie mit bekannten Anschlussdaten
verglichen oder um weitere Bestandsdatenauskünfte verbunden werden,
offenbaren sie die Information, dass sich ein bestimmtes, einem Menschen
zugeordnetes Handy im Funkzellenbereich befunden hat.
Der
grundlegende Grundrechtseingriff bei der Vorratsdatenspeicherung ist die
Speicherpflicht
(8).
Davon reden wir aber nicht, sondern von der Auskunft über alle
Verbindungsdaten, die in einer bestimmten Funkzelle - oder aus mehreren
Funkzellen im Zusammenhang mit einem bestimmten geographischen Standort
- während einer bestimmten Zeitspanne angefallen sind. Von den anderen
Verkehrsdatenerhebungen unterscheiden sie sich dadurch, dass die
Auskunft nicht geräte- (IMEI) oder anschlussbezogen (IMSI) sind, sondern
standortbezogen.
In m Zugriff auf diese Daten liegt ein selbständiger, aber abstrakter
Grundrechtseingriff, weil sie ohne weitere Aufbereitung ein anonymer
Datenbrei sind, der aus sich selbst heraus nichts über die Menschen
aussagt, deren Verkehrsdaten darin enthalten sind. Erst durch die
Bearbeitung kann ein persönlicher Bezug entstehen. Der Datenbrei kann
mit bekannten Anschlussnummern verglichen werden und ein "Treffer"
belegt, dass sich die gesuchte Anschlusskennung zu einem bestimmten
Zeitpunkt an dem geographischen Standort befunden hat. Man kann auch
nach Häufigkeiten suchen und bekommt dadurch die Auskunft, dass sich die
Anschlusskennung länger oder mehrfach in dem Bereich aufgehalten hat.
Oder nach besonderen Merkmalen, zum Beispiel nach Auslandsverbindungen (der
Anschlussnummer oder der Verbindung).
Erst in Verbindung mit validen Bestandsdaten bekommen die selektierten
Verkehrsdaten aus dem Datenbrei eine persönliche Dimension. Deshalb ist
es für die Frage nach der Grundrechtsbedeutung weniger wichtig, dass auf
Verkehrsdaten zugegriffen wird, sondern mit welcher Methode und
Eingriffstiefe sie ausgewertet werden. Folgt man den Veröffentlichungen
in der Presse, dann könnte das gebotene Augenmaß gelegentlich verloren
gegangen sein.
Die
modische und gleichzeitig penetrante Frage danach, wieviele Straftaten
durch Verkehrsdaten aufgeklärt werden, lässt sich ganz einfach
beantworten: Gar keine! Verkehrsdaten sind nur in der Lage,
Kommunikationsbeziehungen zu belegen. Sie kennzeichnen die
Kommunikationspartner, aber nur beschränkt auf die Anschlussnummern, die
Dauer und die Häufigkeit ihrer Kommunikation. Sie liefern in aller Regel
nur den Fingerzeig auf die Richtung, in die sich die weiteren
Ermittlungen bewegen sollten.
Eine Ausnahme fällt mir ein. Anhand der Verkehrsdaten konnte die
Einlassung eines Brandstifters widerlegt werden, er habe sich zur
Tatzeit gar nicht am Tatort befunden. Das aber auch nur, weil durch
andere Tatsachen belegt war, dass er das Handy selber bei sich trug.
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Die
populistischen Verbots-Vorstöße von den Linken und den Grünen scheinen
vorerst vom Tisch zu sein. Der Generalangriff gegen die Nutzung von
Verkehrsdaten und die Vorratsdatenspeicherung geht hingegen weiter und
das ohne Sinn und Verstand.
Ja, ich bin für die Vorratsdatenspeicherung,
weil ich auch für
den Datenschutz bin. In den USA gibt es eine solche Diskussion nicht,
weil sie dort mangels strenger Datenschutzvorschriften sinnlos wäre. Ja, ich
bin für vernünftige Verwertungsregeln und traue auch nicht allen
Zugangsprovidern über den Weg.
Ich will die Vorratsdatenspeicherung, damit
Bestandsdatenauskünfte möglich bleiben. Das ist eigentlich ihre
wichtigtste Funktion. Wenn sich erst das Bewusstsein durchsetzt, dass
aufgrund fehlschlagender Bestandsdatenauskünfte keine Rechtssicherheit
mehr besteht, haben entweder der Rechtsstaat oder die auf die
Kommunikationstechnik angewiesene Wirtschaft verloren. Sie das Vertrauen
in sich selber und das der Allgemeinheit in sie. Demokratie und
Rechtsstaat brauchen auch die Chancen auf Kontrolle, Nachvollziehbarkeit
und Sanktion.
Ich will die Vorratsdatenspeicherung auch in
Form von Auskünften über Zeiträume und geographische Standorte haben,
damit die schwere Kriminalität verfolgt werden kann. Verkehrsdaten sind
schwache Beweise, manchmal aber der einzige Einstieg in Erfolg
versprechende andere Ermittlungen - wenn denn die Voraussetzungen im
übrigen stimmen. Insoweit hätte ich mit der Forderung der Grünen nach
einer Zugriffsbeschränkung nach Maßgabe des Straftatenkatalogs wegen der
Überwachung der Telekommunikation ohne Weiteres leben können.
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