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Gegen
überzogene Formulierungen in Unterwerfungserklärungen hat sich im
Dezember 2011 der BGH gewandt.
BGH, Urteil vom 15.12.2011 - I ZR 174/10
Schlägt der Abmahnende dem wegen eines Wettbewerbsverstoßes
Abgemahnten in einer vorformulierten
Unterlassungsverpflichtungserklärung für jeden Fall der Zuwiderhandlung
das Versprechen einer Vertragsstrafe vor, die unabhängig von einem
Verschulden verwirkt sein soll, kann dies ein Anhaltspunkt dafür sein,
dass die Geltendmachung des Unterlassungsanspruchs missbräuchlich und
nach
§ 8 Abs. 4 UWG unzulässig ist. <Leitsatz 1>
Weitere
Einzelheiten:
Markus Kompa, BGH erschwert Abmahnern die Abzocke,
Telepolis 07.06.2012
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Mit
betrunkenem Kopf (1,43 gr °/oo BAK) leerte
der Angeklagte sein Marihuana-Depot im Wald (317 gr) und wurde bei der
anschließenden Autofahrt erwischt. Dabei hatte er nicht nur das
Rauschgift, sondern griffbereit in der Ablage der Fahrertür auch noch
ein beidseitig geschliffenes Messer mit einer Klingenlänge von 12 cm.
Statistik-freundlich und im Interesse einer fachgerechten Behandlung
machte die Polizei daraus (mindestens) zwei (aufgeklärte)
Ermittlungsverfahren. Darauf wurde er zunächst wegen der
Trunkenheitsfahrt zu einer Geldstrafe verurteilt und dann folgte die
Anklage wegen des Besitzes einer nicht geringen Menge Rauschgift (
§ 29a Abs. 1 Nr. 2 BtMG). Das ist ein Verbrechen und ist mit einer
Mindeststrafe von einem Jahr Freiheitsstrafe bedroht.
Die anschließende Verurteilung hat der BGH wegen Strafklageverbrauchs
eingestellt. Die Verurteilung wegen eines Vergehens der
Trunkenheitsfahrt führte zum Verbot der Doppelbestrafung (
Art 103 Abs. 3 GG).
BGH, Beschluss vom 03.05.2012 - 3 StR 109/12
Man kann
noch einen drauf setzen: Auf dem Beifahrersitz saß der Kunde, der die
Gesamtmenge des Gifts abnehmen wollte. Der Angeklagte hatte also nicht
nur das Gift, sondern auch den Abnehmer im Auto und auch noch das
griffbereite Messer. Damit sind alle Voraussetzungen dafür gegeben, dass
er unter Mitführung eines verletzungsgefährlichen Gegenstandes mit
Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge unerlaubt Handel betrieb und
dafür droht das Gesetz eine Freiheitsstrafe von mindestens 5 Jahren an (
§ 30a Abs. 2 Nr. 2 BtMG).
Schwein - gehabt!
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Seit
geraumer Zeit versucht der BGH, das
uneigentliche Organisationsdelikt zu fassen.
Dabei geht es darum, die "Köpfe" strafrechtlich zur Verantwortung zu
ziehen, die sich an der kriminiellen Aufbauorganisation beteiligen, die
Planung beherrschen, die Strippen ziehen und sich bei der finalen
Ausführung zurückhalten, um sich keine Finger schmutzig zu machen. Die
Meilensteine, die der BGH gesetzt hat, sind die neue Definition der
Bande, der Schießbefehl an der DDR-Grenze und viele kleine Äußerungen,
die sich mit den Details befassen.
Jetzt hat
sich der BGH mit einem Anlagemodell wegen der Erzeugung von Strom
befassen müssen, das offenbar viel Geld der Anleger verbrannt hat. Die
angefochtene Entscheidung sagt aber zu wenig über die (falschen)
Vorgaben aus, mit denen der Initiator des Anlagemodells die
Klinkenputzer losgeschickt hat. Das reicht dann nicht zu seiner
Verurteilung:
BGH, Beschluss vom 09.05.2012 - 5 StR 499/11
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Der
Tatbestand des Betruges ist schwierig und ich habe zu ihm meinen
persönlichen Schnelltest entwickelt:
Hat
er gelogen?
Was
hat er dafür bekommen?
Der Profi,
der bei einer der beiden Antworten ins Stottern gerät, merkt danach
genau, dass ein sprichwörtlicher Wurm in seinen Gedanken ist. Der
Schnelltest kann nicht alle ausgefeilten Fazetten des Tatbestandes
ausloten, hilft aber dagegen, sich zu verrennen.
Eine dieser
gemeinen Fazetten betrifft die Abgrenzung zwischen dem straflosen
Vorbereitungsstadium, in dem der Täter zwar schon lügt, aber das Opfer
erst noch einlullt und noch immer einen Rückzieher machen kann, und dem
Beginn des strafbaren Versuches. Damit
beschäftigte sich unlängst das
OLG Hamm, Beschluss vom 11.08.2011 - III-3 RVs 54/11:
1. Für
den Beginn eines strafbaren Betrugsversuchs genügt es zwar regelmäßig,
dass der Täter bereits ein Merkmal des gesetzlichen Tatbestandes
verwirklicht; jedoch muss das, was der Täter zur Verwirklichung seines
Vorhabens getan hat, zu den gesetzlichen Tatbestandsmerkmalen und deren
beabsichtigter Verwirklichung in Beziehung gesetzt werden.
2. Bei
mehrgliedrigen Geschehen ist für den Beginn des Betrugsversuchs erst
diejenige Täuschungshandlung maßgeblich, die den Getäuschten unmittelbar
zur irrtumsbedingten Vermögensverfügung bestimmen und den
Vermögensschaden herbeiführen soll.
3.
Versuchter Betrug liegt noch nicht vor, solange der Täter lediglich
solche Täuschungshandlungen vornimmt, die weder nach der wirklichen
Sachlage noch nach seiner Vorstellung dazu ausreichen, denjenigen Irrtum
hervorzurufen, der den Getäuschten zu der schädigenden
Vermögensverfügung bestimmen und damit den Schaden herbeiführen soll.
Siehe auch:
Vorbereitung und Versuch beim Betrug, 08.02.2011 |
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Auffallend
häufig muss sich der BGH mit Urteilen beschäftigen, denen eine
Verfahrensabsprache und ein umfassendes Geständnis des Angeklagten
voraus gegangen ist. Nach
§
257c Abs. 2 S. 2 StPO soll der Bestandteil jeder Verständigung ein
Geständnis sein. Darüber ist schon viel gestritten worden, weil "soll"
nicht "muss" heißt und deshalb auch eine Verständigung ohne Geständnis
möglich sein könnte. Dagegen wendet sich jetzt:
BGH, Beschluss vom 23.05.2012 - 1 StR 208/12, Rn 16
Ein im Rahmen einer Verständigung abgelegtes Geständnis ist die
Voraussetzung dafür, dass die Strafe nur dem zuvor genannten Strafrahmen
zu entnehmen ist; es führt aber nicht dazu, dass eine andere als eine
die Untergrenze des Strafrahmens überschreitende Strafe nicht mehr
verhängt werden dürfte. Einen entsprechenden Vertrauenstatbestand hat
das Gericht nicht geschaffen (vgl.
BGH, Beschluss vom 27. Juli 2010 - 1
StR 345/10).
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Der
Besetzungsstreit um den Vorsitz des 2. Strafsenats des BGH hat gewisse
satirische Züge ...
Keine
Farce: Besetzungsstreit beim BGH, 04.02.2012
... und jetzt auch das BVerfG erreicht:
BVerfG, Beschluss vom 23.05.2012 - 2 BvR 610/12, 625/12.
Dabei ging es um die Frage, ob der gegenwärtige
Doppelvorsitz des VRiBGH Dr. Ernemann im 2. und im 4. Strafsenat eine
überobligatorische Belastung darstelle, so dass beide Strafsenate
unvollständig besetzt seien und der gesetzliche Richter nicht mehr
gewährleistet sei. Die klagenden Angeklagten sorgen sich fürsorglich und
nicht ganz selbstlos um den Gesundheitszustand des hohen Kollegen.
Das BVerfG referiert die verwaltungsgerichtliche
Rechtsprechung zur richterlichen Arbeitsbelastung und hebt ihre
Selbstverantwortung hervor:
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BVerwG:
Der Richterberuf als gewissermaßen Nebenbeschäftigung neben der
Beanspruchung als Hausfrau und Mutter <ist> nicht besonders geeignet. |
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(1) Der vom Richter zu leistende Arbeitseinsatz
bestimmt sich grundsätzlich nach dem ihm verliehenen konkreten
Richteramt und den ihm in der richterlichen Geschäftsverteilung
zugewiesenen Aufgaben (
BVerwGE 78, 211 <213>). Allerdings sind auch Richter nicht
verpflichtet, sämtliche ihnen nach dem Geschäftsverteilungsplan
übertragenen Aufgaben in vollem Umfang sofort und ohne Beschränkung
ihres zeitlichen Einsatzes zu erledigen (vgl.
OVG
Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14. November 2005 - 1 A 494/04
...; OVG Saarland, Beschluss vom 24. Februar 1992 - 1 W 2/92 -, juris,
Rn. 11). Die Möglichkeit, die Arbeitszeit als Ausfluss der richterlichen
Unabhängigkeit selbst zu gestalten - soweit die Anwesenheit in der
Dienststelle nicht durch bestimmte Tätigkeiten (Beratungen,
Sitzungsdienst, Bereitschaftsdienst usw.) geboten ist -, bedeutet
nämlich nicht, dass ein Richter zeitlich unbeschränkt zur
Arbeitsleistung verpflichtet ist (
BVerwG, Beschluss vom 21. September 1982 - 2 B 12/82 ...). Vielmehr
orientiert sich die von einem Richter zu erbringende Arbeitsleistung
pauschalierend an dem Arbeitspensum, das ein durchschnittlicher Richter
vergleichbarer Position in der für Beamte geltenden regelmäßigen
wöchentlichen Arbeitszeit bewältigt (vgl.
BVerwGE 78, 211 <213 f.>;
BVerwG, Beschluss vom 21. September 1982 - 2 B 12/82 -, nach juris,
Rn. 3; vgl. auch
BGH, Urteil vom 3. Dezember 2009 - RiZ(R) 1/09).
<Rn 17>
Überschreitet das zugewiesene Arbeitspensum die so zu bestimmende
Arbeitsleistung - auch unter Berücksichtigung zumutbarer Maßnahmen wie
zum Beispiel eines vorübergehenden erhöhten Arbeitseinsatzes - erheblich,
kann der Richter nach pflichtgemäßer Auswahl unter sachlichen
Gesichtspunkten die Erledigung der ein durchschnittliches Arbeitspensum
übersteigenden Angelegenheiten zurückstellen. Die richterliche
Unabhängigkeit bleibt dabei gewährleistet, indem der Richter - nach
entsprechender Anzeige der Überlastung - für die nach pflichtgemäßer
Auswahl zurückgestellten Aufgaben und die dadurch begründete verzögerte
Bearbeitung dienstaufsichtsrechtlich nicht zur Verantwortung gezogen
werden kann (vgl. OVG Saarland, Beschluss vom 24. Februar 1992 - 1 W
2/92 -, juris, Rn. 11;
OVG Nordrhein-Westfalen, Beschluss vom 14.
November 2005 - 1 A 494/04 -, juris, Rn. 22 ff.; vgl. auch
BGH, Urteil
vom 3. Dezember 2009 - RiZ(R) 1/09 ...). <Rn 18>
(2) Ob sich ein überdurchschnittlich leistungsfähiger oder
leistungsbereiter Richter letztlich darauf beruft, nur mit einem
durchschnittlichen Arbeitspensum belastet zu werden, oder sein erhöhtes
Leistungsvermögen beziehungsweise seine erhöhte Leistungsbereitschaft
zur Bewältigung etwaiger überobligatorischer Aufgaben einsetzt, ist
diesem überlassen und seinerseits Ausfluss der richterlichen
Unabhängigkeit. Auch wenn
Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG
dem Rechtssuchenden
die materielle Gewähr eines unabhängigen Richters bietet, macht ihn das
nicht zum Interessenwalter des Richters und er kann nicht eine aus
dessen Arbeitsbelastung abgeleitete Beeinträchtigung der richterlichen
Unabhängigkeit geltend machen. <Rn 19>
Ein Blick
in die Quellen lohnt sich, weil die Pensenberechnung seit Jahrzehnten
ein Quell ständiger Freude ist. Die Klagen von der Front werden in aller
Regel zurückgewiesen, die Landesregierungen wegen der Schaffung
ausreichender Stellen nicht in die Pflicht genommen und die
Eingangsrichter mit dem Argument abgefrühstückt: Ihr seid vom
Richterprivileg bevorteilt und nutzt es gefälligst, indem Ihr Eure
Aufgaben priorisiert.
Eine Ausnahme machte das BVerfG 2001 im
Zusammenhang mit dem Richtervorbehalt und der Anordnung von Blutproben
und Durchsuchungen außerhalb üblicher Dienstzeiten:
Die
Landesjustiz- und die Gerichtsverwaltungen und die Ermittlungsrichter
haben sicherzustellen, dass der Richtervorbehalt als
Grundrechtssicherung praktisch wirksam wird. Sie müssen die
Voraussetzungen für eine tatsächlich wirksame präventive richterliche
Kontrolle der Wohnungsdurchsuchungen schaffen.
BVerfG, Beschluss vom 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00,
Rn 12;
Gefahr
im Verzug
Was hat das gebracht? Gar nichts!
Pauschalierter Schadensersatz ist billiger als Personal. Das dürfte das
schlagende Argument für die Schaffung des
Gesetzes über den Rechtsschutz bei überlangen Gerichtsverfahren und
strafrechtlichen Ermittlungsverfahren gewesen sein. Mit den neuen
Entschädigungsansprüchen darf sich die operative und die Spruchpraxis
jetzt auch noch herumschlagen - ohne dass neue Ressourcen geschaffen
wurden.
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