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Plädoyer
für einen sauberen Startschuss
legendierte Kontrolle
Die
Rechtsprechung der obersten Gerichte über die Beweisverwertungsverbote
wird immer strenger und vor allem auf den gesetzlichen Richtervorbehalt
legen sie immer mehr Wert, wie zuletzt ein Beschluss des BGH aus dem
August 2011 über eine rechtswidrige nächtliche Durchsuchungsanordnung
gezeigt hat.
Dieser Aufsatz hat zwei Schwerpunkte. Beim ersten geht es um die
grundlegenden Fragen, unter welchen Voraussetzungen die Rechtsprechung
Verwertungsverbote herausgearbeitet hat. Nicht jeder Verfahrensfehler führt dazu,
wohl aber die, die einem ausdrücklichen gesetzlichen Verbot oder
Richtervorbehalt widersprechen. Darüber hinaus kann im ganz
schwerwiegenden Fall ein Verwertungsverbot entstehen, wenn ein
verfassungsrechtliches Rechtsgut in besonders schwerer Weise betroffen
ist.
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Der zweite Schwerpunkt widmet sich mit den legendierten Kontrollen einem
besonderen und zugleich schwierigen Problem während laufender verdeckter
Ermittlungen.
Unter engen Voraussetzungen können legendierte Kontrollen und die
Verwertung daraus erlangter Erkenntnisse zulässig sein, wenn die
ausführenden Beamten eigenverantwortlich eine polizeirechtliche
Eingriffsmaßnahme aufgrund von Hinweisen von anderen Ermittlungspersonen
durchführen. Sie dürfen nicht zu Ermittlungsgehilfen anderer Polizisten
werden, die Hinweise, Entscheidungsgrundlagen und Erkenntnisse müssen
genau dokumentiert werden und sich einer nachträglichen Überprüfung
stellen. Dafür hat schließlich die Staatsanwaltschaft aufgrund ihrer
Gesamtverantwortung für ein rechtsstaatlich geführtes
Ermittlungsverfahren zu sorgen.
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Beweisverwertungsverbote |
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Die Streite
um Verwertungsverbote in Strafverfahren betreffen in den meisten Fällen
Ermittlungs- und Eingriffsmaßnahmen im Anfangsstadium der Ermittlungen
und ihre kritische Überprüfung in der gerichtlichen Beweisaufnahme.
Schnell treten dabei die Stichworte "Verwertungsverbot", "Willkür" und "faires
Verfahren" zutage mit dem offenen Ziel, zunächst das Gericht zu
verunsichern und dann so gegen die Ermittlungsbehörden einzunorden, dass
mindestens eine milde Bestrafung oder bestenfalls ein Freispruch erfolgt.
Häufig sind
die Staatsanwaltschaft und die Polizeibehörden nicht ganz unschuldig
daran. Ganz am Anfang gilt es, die Fakten (tatsächliche Anhaltspunkte im
Sinne von
§ 152 Abs. 2 StPO) zu benennen, einzeln und in einer Gesamtschau zu
bewerten, um daraus einen Anfangsverdacht abzuleiten. Schlechte
Einstiegsberichte erkennt man daran, dass sie ausufernde Ausführungen
über internationale Täterbeziehungen und Bandenstrukturen enthalten, um
den Verdacht einer schweren Straftat zu begründen
(1), die
bei genauer Betrachtung wenig Gehalt haben. Die potenzielle Bande
besteht dann schnell auch aus Familienangehörigen, Disponenten und
Drahtziehern im Hintergrund, die die ganze Veranstaltung nicht nur zur
Banden-, sondern gleich zur Organisierten Kriminalität machen.
Disponenten und Beobachter kenne ich gesichert aus Enkeltrick-Verfahren
(2).
Im Zusammenhang mit dem Einbruchsdiebstahl und dem Skimming habe ich
noch keine erlebt.
Es ist die
Aufgabe der Staatsanwaltschaft, auf eine nüchterne und solide Bewertung
des
Anfangsverdachts hinzuwirken und selbst vorzunehmen
(3).
Der erste, der von einem Lagebild und dem Sinn einer Eingriffsmaßnahme
überzeugt werden muss, ist der Staatsanwalt. Er ist auf eine solide
Zuarbeit angewiesen und die besteht ganz besonders darin, dass die
Polizei Fakten liefert, zueinander in Beziehung setzt und deren Bewertung auf das Wesentliche
beschränkt.
Es gibt
drei Verfahrensstufen, in denen der Staatsanwalt Farbe bekennen muss und
bei denen ich von ihm im besonderen Maße Verantwortung erwarte:
Bei der Einleitungsverfügung, mit der er Tat und Vorwurf unter dem
Vorbehalt der vorläufigen Bewertung fixiert,
bei der Anklageerhebung, bei der er Ross und Reiter benennen muss, und
im Plädoyer, wo er die abschließende Bewertung des Sachverhaltes unter
Berücksichtigung des Zweifelsgrundsatzes (in dubio pro reo) leisten
muss.
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Tatsachen und Anfangsverdacht |
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Geltungsgrad für Erfahrungswerte |
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5 |
sichere Erkenntnis, für die keine
Ausnahmen bekannt oder denkbar sind |
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4 |
sichere Erkenntnis, für die Ausnahmen
bekannt oder denkbar sind |
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3 |
Erfahrung mit überwiegender
Wahrscheinlichkeit |
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2 |
Erfahrung, die aus verschiedenen
Einzelfällen gewonnen wurde |
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1 |
Erfahrung aus einem Einzelfall |
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Vom (allgemeinen)
Anfangsverdacht verlangt der BGH, dass aufgrund von Tatsachen, die mit
der Lebenserfahrung, Fachwissen und vor allem mit kriminalistischen
Erfahrungen bewertet werden dürfen, ein Verdacht in Bezug auf eine
Straftat begründet wird
(4):
Es versteht sich von selbst, dass gerade im
vorbereitenden Verfahren, abhängig unter anderem von der
kriminalistischen Erfahrung des zur Entscheidung Berufenen,
unterschiedlich beurteilt werden kann, ob bestimmte Tatsachen einen
Verdacht begründen (…) und ob dieser - wie erforderlich ist, auch wenn
das Gesetz keinen bestimmten Verdachtsgrad verlangt - mehr als nur
unerheblich ist.
Insoweit
muss das Gericht alle tragenden Gründe betrachten
(5),
ohne sich aber - und das gilt für alle Entscheidungsstadien - in
ausufernden Erörterungen
(6)
oder abwegigen Erwägungen zu ergehen
(7).
Für die
Bewertung von Tatsachen und Erfahrungen bevorzuge ich das Denkmodell von
der
"Geltung", das ich 2009 beschrieben habe
(8).
Es ist kein präzises Messinstrument, aber ein Schema, das die Bedeutung
einzelner Anhaltspunkte klarer erkennen lässt.
Tiefe Eingriffsmaßnahmen, zum Beipiel nach
§ 100a Abs. 1 StPO (TKÜ), verlangen nach einem stärkeren, durch bestimmte Tatsachen
untermauerten Anfangsverdacht, zu dem (im Zusammenhang mit dem großen
Lauschangriff) das BVerfG ausgeführt hat
(9):
Der durch
bestimmte Tatsachen begründete Verdacht unterliegt zwar höheren
Anforderungen als der bloße
Anfangsverdacht, erreicht jedoch nicht
bereits den Grad eines
"hinreichenden" oder gar
"dringenden"
Tatverdachts, den andere Normen der Strafprozessordnung vorsehen.
§
100 c Abs. 1 Nr. 3 StPO erfordert eine konkretisierte Verdachtslage.
Hierfür reicht das bloße Vorliegen von Anhaltspunkten nicht aus. Es
müssen vielmehr konkrete und in gewissem Umfang verdichtete Umstände als
Tatsachenbasis für den Verdacht vorhanden sein (vgl.
BVerfGE 100, 313 <395> ).
Davon
grenzt der BGH den
hinreichenden und den
dringenden Tatverdacht ab
(10):
Hinreichender Tatverdacht ist zu bejahen, wenn bei vorläufiger
Tatbewertung (BGHSt 23, 304, 306) auf Grundlage des
Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit
vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist (BGH NJW 1970, 1543,
1544). Hierbei wird ein geringerer Grad der Wahrscheinlichkeit
vorausgesetzt, als dies beim dringenden Tatverdacht im Sinne des
§ 112
Abs. 1 Satz 1 oder
§ 126a Abs. 1 StPO der Fall ist
(...).
Anschauliche Worte hat das BVerfG gefunden
(11):
Das Tatbestandsmerkmal "bestimmte Tatsachen" in
§ 100a Satz 2 StPO erfordert,
dass die Verdachtsgründe über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen
hinausreichen müssen. Bloßes Gerede, nicht überprüfte Gerüchte und
Vermutungen reichen nicht. Erforderlich ist, dass auf Grund der
Lebenserfahrung oder der kriminalistischen Erfahrung fallbezogen aus
Zeugenaussagen, Observationen oder anderen sachlichen Beweisanzeichen
auf die Eigenschaft als Nachrichtenmittler geschlossen werden kann.
Praktische Beispiele für die Mutmaßungen einer
Vertrauensperson schilderte unlängst der BGH
(12):
Die ganze
Sippe ist da drin, das ist ja klar, verstehst du?
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Verwertungsverbote |
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Nur wenige
gesetzliche Beweisverwertungsverbote ergeben sich unmittelbar aus der
Strafprozessordnung. Als Beispiele dafür können können das
Beschlagnameverbot (
§ 97 Abs. 1 StPO), die verbotenen Vernehmungsmethoden (
§ 136a Abs. 3 S. 2 StPO), der Berufshelferschutz (
§ 160a StPO) und das Gebot der Schwellengleichheit (
§ 161 Abs. 2, 3 StPO) genannt werden. Außerhalb der benannten Fälle
kann ein Verwertungsverbot im wesentlichen aus einem Verstoß gegen die
Grundsätze eines fairen Verfahrens
(13)
oder aus besonders schwerwiegenden Verfahrensverstößen abgeleitet werden,
nicht aber aus einfachen Fehlern oder aus rechtlichen
Bewertungsunterschieden in verschiedenen Phasen des Verfahrens. Insoweit
hat das BVerfG ausgeführt
(14):
Eine
Verletzung des Rechts auf ein faires Verfahren liegt erst dann vor, wenn
eine Gesamtschau auf das Verfahrensrecht - auch in seiner Auslegung und
Anwendung durch die Gerichte - ergibt, dass rechtsstaatlich zwingende
Folgerungen nicht gezogen worden sind oder rechtsstaatlich
Unverzichtbares preisgegeben wurde (...). Im Rahmen dieser Gesamtschau
sind auch die Erfordernisse einer funktionstüchtigen Strafrechtspflege
in den Blick zu nehmen (...).
Dazu reicht die einfache Rechtswidrigkeit einer
Entscheidung oder Eingriffsmaßnahme nicht aus, wie unter anderem das
BVerfG hervorgehoben hat
(15):
Insofern
gehen die Strafgerichte in gefestigter, willkürfreier … Rechtsprechung
davon aus, dass dem Strafverfahrensrecht ein allgemein geltender
Grundsatz, dass jeder Verstoß gegen Beweiserhebungsvorschriften ein
strafprozessuales Verwertungsverbot nach sich zieht, fremd ist, und dass
die Frage jeweils nach den Umständen des Einzelfalls, insbesondere nach
der Art des Verbots und dem Gewicht des Verstoßes unter Abwägung der
widerstreitenden Interessen zu entscheiden ist.
Nach der Spruchpraxis des BVerfG können
insbesondere die willkürliche Annahme von Gefahr im Verzug oder das
Vorliegen eines besonders schwerwiegenden Fehlers … ein
Verwertungsverbot nach sich ziehen
(16),
also vor allem in den Fällen, in denen willkürlich ein
Richtervorbehalt
umgangen worden ist
(17).
Insoweit nimmt der BGH die Richter auch in die Pflicht und verlangt eine
unabhängige,
neutrale Prüfung,
ob die
gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung dieser Maßnahme vorliegen
und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist
(17a).
Dessen ungeachtet haben Verwertungsverbote einen Ausnahmecharakter und der BGH verlangt
einen begründungsbedürftigen, durchgreifenden verfassungsrechtlichen
Grund
(18):
Eine -
einfachrechtliche - nachträgliche Bemakelung rechtmäßig erhobener Daten
kennt die Strafprozessordnung nicht (...). Ein Verwertungsverbot kann
daher nur verfassungsrechtlicher Natur sein <Rn 22>. Erforderlich
ist
eine Abwägung zwischen den schutzwürdigen Belangen des Betroffenen
und dem Interesse der Allgemeinheit an einer funktionsfähigen
Strafrechtspflege und effektiven Strafverfolgung <Rn 25>.
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Richtervorbehalte und Verwertungsverbote |
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Mit
besonders harschen Worten hat sich unlängst der BGH gegen eine
Durchsuchungsanordnung zur Nachtzeit bei
Gefahr
im Verzug geäußert, wobei der polizeiliche Einsatz schon etliche
Stunden vorher vorbereitet wurde
(19):
Es steht aber nicht im Belieben der Strafverfolgungsbehörden, wann
sie eine Antragstellung in Erwägung ziehen. Sie dürfen nicht so lange
mit dem Antrag an den Ermittlungsrichter warten, bis die Gefahr eines
Beweismittelverlusts tatsächlich eingetreten ist, und damit die von
Verfassungs wegen vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters
unterlaufen (
BVerfG, Urteil vom 20. Februar 2001 - 2 BvR 1444/00, ...;
Beschluss vom 4. Februar 2005 - 2 BvR 308/04, ...). Für die
Frage, ob die Ermittlungsbehörden eine richterliche Entscheidung
rechtzeitig erreichen können, kommt es auf den Zeitpunkt an, zu dem die
Staatsanwaltschaft oder ihre Hilfsbeamten die Durchsuchung für
erforderlich halten (
BGH, Urteil vom 18. April 2007 - 5 StR 546/06, ...).
Diese
Konsequenz war abzusehen. Das ist auch der Grund dafür, warum ich
zuletzt im Zusammenhang mit den verdeckten Ermittlungen im Internet
(20)
in aller Breite auf die betroffenen Grundrechte eingehe
(21)
und die Rechtsfigur des Nicht offen ermittelnden Beamten -
NoeP
(22)
- auf klar umgrenzte Ermittlungsaufträge beschränke, was die
Rechtsprechung seit den Neunziger Jahren anerkennt
(23).
Eine schon
in anderem Zusammenhang angesprochene Entscheidung birgt juristischen
Sprengstoff in Bezug auf eine "legendierte Kontrolle"
(24):
Soweit
die Strafkammer im angefochtenen Urteil ihre Überzeugung von der
Glaubhaftigkeit der Angaben des bisherigen Mitangeklagten K. auch auf in
dessen Gepäck aufgefundene Beweismittel, Notizen und abgelichtetes
Bargeld stützt, erscheint dies mit Blick den in
§ 105 Abs. 1 StPO geregelten
Richtervorbehalt nicht unbedenklich. Zwar wurden die Beweismittel
im Wege einer zollamtlichen Untersuchung in eigener Zuständigkeit des
Zollamts Hamburg-Flughafen aufgefunden. Allerdings erfolgte die
Durchsuchung des Gepäcks während des bereits gegen K. als Beschuldigten
geführten Ermittlungsverfahrens gerade auf Veranlassung des
Landeskriminalamts. Auf welcher Rechtsgrundlage auf zollamtliche
Erkenntnisse zurückgegriffen und diese in den Urteilsgründen verwertet
wurden, ist nicht ohne Weiteres nachvollziehbar.
Trotz aller Nörgeleien, die diesen Beschluss prägen, macht es Sinn, die
Hintergründe etwas näher zu betrachten.
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legendierte Kontrolle |
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Die
Anordnung der Durchsuchung im Strafverfahren unterliegt dem
Richtervorbehalt (
§ 105 Abs. 1 StPO). Daneben lassen aber auch andere
Verfahrensordnungen die Kontrolle von Personen und das Anhalten von Fahrzeugen zu:
"Allgemeine"
Verkehrskontrolle durch die Polizei (
§ 36 Abs. 5 StVO).
Der Bundespolizei ist der "Grenzschutz" übertragen und damit die
Gefahrenabwehr im Bereich zwischen der Landesgrenze und bis zu 30
Kilometern Entfernung im Inland (
§ 2 Abs. 2 Nr. 3 BPolG). Das berechtigt sie im Verdachtsfall zur
Durchsuchung von Personen und Sachen (
§§ 43,
44 BPolG).
Die
Zollverwaltung ist, ohne zur Strafverfolgung befugt zu sein (
§ 1 ZollVG), zur "zollamtlichen Überwachung" berechtigt (
§ 10 ZollVG). Sie umfasst auch das Anhalten von Fahrzeugen und deren
Durchsicht.
Bei der
legendierten Kontrolle geht es darum, dass während laufender, verdeckter
Ermittlungen in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren andere
Verwaltungsbehörden auf verdächtige Fahrzeuge oder Personen hingewiesen
werden und dann - zum Beispiel von Zollbeamten - aus eigenem
Eingriffsrecht angehalten und das Fahrzeuginnere durchgesehen wird. Das
erfolgt natürlich mit einem Hintergedanken, in den die handelnden
Beamten nicht zwingend eingeweiht sind: Die Ermittlungsbeamten können
zum Beispiel durch eine Telefonüberwachung Informationen über einen
laufenden Schmuggel erhalten haben. Die tatsächliche Überprüfung dieser
Information gelingt aber nur, wenn das Schmuggelfahrzeug in Augenschein
genommen wird. Die laufenden Ermittlungen sollen aber verdeckt bleiben,
so dass eine förmliche Durchsuchung nach der StPO ausscheidet. Deshalb
geben die Ermittler nur einen "Tipp" an ihre Kollegen und bleiben
ansonsten unbemerkt im Hintergrund.
Davon sind
mehrere Probleme betroffen, die die Zulässigkeit der Verwaltungsmaßnahme
als solche und vor allem die weitere Verwertung der durch die
Verwaltungsmaßnahme erlangten Erkenntnisse betrifft.
Aus der
Sicht des laufenden Ermittlungsverfahrens handeln die Zöllner quasi als
stellvertrende Ermittlungshelfer der Fahnder. In Bezug auf solche "Gemengelagen"
hat der BGH ausgeführt
(25),
dass jedenfalls der polizeirechtliche Lockspitzeleinsatz
selbst im
Fall einer "Gemengelage" ... einheitlich an den Regelungen der StPO zu
messen ist. Das würde bedeuten, dass die zollrechtliche Kontrolle
eines strafverfahrensrechtlichen Durchsuchungsbeschlusses bedürfte.
Die
kontrollierenden Zöllner sind jedoch keine Ermittlungspersonen im Sinne
von
§ 152 GVG. Sie müssen die Hinweise, die sie von einem (anderen)
Zollfahndungsbeamten erhalten
(26),
nur nach Maßgabe ihrer zollpolizeilichen Vorschriften prüfen, also wegen
der Kontrolle nach
§ 10 ZollVG. Die Herkunft ihrer Information dürfte keine Bedeutung
haben, weil die Fahnder durchaus zu ihrer Weitergabe berechtigt sind (
polizeilicher Informationsaustausch). Probleme können allerdings bei
der Verwertung zollrechtlich erlangter Erkenntnisse im
Ermittlungsverfahren auftreten (
Verwertung und Schwellengleichheit).
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polizeilicher Informationsaustausch |
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Die
Zollfahndung darf Informationen aus laufenden Ermittlungsverfahren an die
Zollverwaltung weiter geben.
§ 10 ZollVG ist polizeirechtlich ausgerichtet und privilegiert die
Zollverwaltung insgesamt und nicht ausdrücklich die Zollfahndungsämter (
§ 404 AO), die in gewissen Grenzen die Aufgaben der
Staatsanwaltschaft wahrnehmen (
§ 386 AO pp.). Die Aufgaben der Zollverwaltung umfassen hingegen
ausdrücklich nicht die Strafverfolgung (
§ 1 ZollVG); sie hat nach
§
12a Abs. 4, Abs. 5 ZollVG Unterrichtungs- und Mitteilungspflichten,
die sie noch einmal ausdrücklich von der Strafverfolgung selber
abgrenzen.
Die Zollfahndungsbeamten sind aufgrund ihrer Ermittlungsermächtigung (
§ 386 Abs. 1 AO) Ermittlungspersonen im Sinne von
§
152 GVG, die im Auftrag der Staatsanwaltschaft handeln (
§§ 161 Abs. 1 S. 2,
163
Abs. 1 StPO). Nach Maßgabe des Amtshilfegrundsatzes (
Art 35 Abs. 1 GG) dürfen strafverfahrensrechtliche Erkenntnisse auch
für polizeigesetzliche Aufgaben verwendet werden (
§§ 478 Abs. 1 S. 5,
481
Abs. 1 S. 1, 2 StPO), so dass der Zollfahndungsbeamte auch
Informationen an andere Zollverwaltungsbeamte weitergeben darf, wenn
dies zu ihrer Aufgabenwahrnehmung erforderlich ist. Das dürfte besonders
für knappe Hinweise gelten, die für einen zollpolizeilichen Verdacht
ausreichen, aber nicht zu einem Anfangsverdacht im Sinne von
§
152 Abs. 2 StPO. Es muss sich um inhaltlich richtige Hinweise
handeln und sie müssen so vollständig sein, dass sie keine Irrtümer
auslösen können. Hingegen gibt es keine Vorschrift, die die Zollfahndung
zur Offenbarung aller Einzelheiten eines noch laufenden
Ermittlungsverfahrens zwingen würde (Arg aus
§
147 Abs. 2 S. 1 StPO).
Danach sind
einfache Hinweise des Zollfahnders, die den Zöllner zu einer
selbständigen zollrechtlichen Maßnahme veranlassen, rechtlich nicht zu
beanstanden. Aus der Informationsquelle kann jedenfalls keine
Rechtswidrigkeit der zollrechtlichen Maßnahme hergeleitet werden.
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Verwertung und Schwellengleichheit |
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Die
Verwertung zollrechtlich erlangter Erkenntnisse im Strafverfahren
bereitet andere Schwierigkeiten. Maßgebend ist das Gebot der Schwellengleichheit
in
§ 161 Abs. 2
StPO. Sie verlangt, dass die zollrechtlich gewonnenen Erkenntnisse
zu Beweiszwecken
im Strafverfahren nur zur Aufklärung solcher Straftaten verwendet werden, zu
deren Aufklärung eine solche Maßnahme nach diesem Gesetz hätte angeordnet werden
dürfen.
§ 161 Abs. 2
StPO fragt nur nach den Straftaten, wegen der die Ermittlungen geführt
werden. Das Anhalten und die Durchsicht nach
§ 10 ZollVG haben ihre strafverfahrensrechtliche Entsprechung in der
Durchsuchung (
§§ 102,
103
StPO). Keiner der beiden Tatbestände verfügt über einen einschränkenden
Straftatenkatalog, so dass sie für jede Art von Strafverfolgung anwendbar sind.
Deshalb bildet
§ 161 Abs. 2
StPO keine hindernde Schwelle für die Verwertung. Daran ändert sich auch
nichts dadurch, dass
§ 105 Abs. 1 StPO mit dem Richtervorbehalt eine formelle Schranke
setzt und
§ 10 ZollVG keine entsprechende Verfahrensregel hat. Genau danach
fragt
§ 161 Abs. 2
StPO nicht.
Im Ergebnis
gibt es deshalb keine grundlegenden Hindernisse, um zollrechtlich erlangte Erkenntnisse
im Strafverfahren zu verwerten.
Dasselbe
gilt für die Verwertung von Erkenntnissen nach einer
"allgemeinen"
Verkehrskontrolle und nach einer
Überwachung durch die Bundespolizei in Grenznähe.
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legendierte Kontrollen anderer Art |
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Kritisch zu
befragen sind jedoch die anderen polizeirechtlichen
Eingriffsmaßnahmen, weil sie von Ermittlungspersonen im Sinne von
§ 152 GVG durchgeführt werden. Somit stellt sich nämlich die Frage,
ob das Richterprivileg des
§ 105 Abs. 1 StPO dadurch umgangen wird, dass Ermittlungsbeamte, die
auch strafverfahrensrechtlich tätig werden dürfen, zu einer der
Duchsuchung vergleichbaren Eingriffshandlung veranlasst werden, die
diese formelle Schwelle nicht kennt.
Den Lockspitzeleinsatz beim Scheinkauf von BtM sieht der BGH als eine
Maßnahme an,
die nicht
mehr der Gefahrenabwehr dient. Sie ist darauf gerichtet, potentielle
Straftäter bei einer Straftat zu ergreifen und der Strafverfolgung
zuzuführen ... sie ist eine Maßnahme der Strafverfolgung, deren
Rechtmäßigkeit gerade auch dann anhand der Strafprozeßordnung zu
bestimmen ist, wenn deren Regelungen enger sind als die des
Polizeirechts.
(27)
Das spräche
gegen die Rechtmäßigkeit der legendierten Kontrolle in den Fällen des
§ 36 Abs. 5 StVO und der
Grenzkontrolle durch die Bundespolizei, wenn ihnen "Tipps" von
verdeckt ermittelnden Ermittlungspersonen zugrunde liegen.
In dem vom BGH entschiedenen Fall handelte es sich jedoch um eine
einheitliche Ermittlungsmaßnahme, an der dieselben Personen beteiligt
gewesen sind. Dem tätigen Verdeckten Ermittler und seinem VE-Führer waren
der polizeirechtliche Charakter der Maßnahme und der strafrechtliche Gehalt des Scheinkaufes bekannt. Insoweit verbietet der
BGH eine beliebige Anwendung des jeweils "passenden" Verfahrensrechts.
Davon unterscheiden sich die legendierten Kontrollen unter den von mir
angenommenen Voraussetzungen. An ihnen sind nicht die eingeweihten
Ermittler beteiligt, sondern andere Beamte, die mit dem Gegenstand der
strafrechtlichen Ermittlungen nicht vertraut sind. Sie verfügen nur über
die Information, dass aufgrund ungesicherter Erkenntnisse ein bestimmtes
Fahrzeug mit einer Straftat in Verbindung stehen könnte. Sie müssen mit
dieser Information prüfen, ob sie aus anderem Recht eine
Eingriffsmaßnahme begründen können.
In Bezug auf
§ 36 Abs. 5 StVO dürfte es nur wenige Fälle geben, in denen
Verkehrspolizisten eine eigenverantwortliche Maßnahme begründen können.
Sie sind auf eigene Erfahrungswerte und Anhaltspunkte in Bezug auf das
Fahrverhalten der Verkehrsteilnehmer oder des augenscheinlichen Zustands
des Fahrzeuges angewiesen.
Für eine
Grenzkontrollmaßnahme dürften hingegen einfache Hinweise auf
Importverbote oder illegale Einreisen genügen, wenn sie mit den eigenen
Eindrücken und Erfahrungen der handelnden Beamten unterfüttert sind.
Wichtig ist
jedenfalls, dass die ausführenden Beamten selbstverantwortlich und mit
eigener Entscheidungskompetenz handeln. Das erfordert eine genaue und
vollständige Dokumentation der Hinweise, die aus dem verdeckt geführten
Verfahren gegeben wurden, und einer nachvollziehbaren eigenen
Entscheidung der ausführenden Beamten, die nicht zu nur ausführenden
Ermittlungshelfern der hinweisgebenden Kollegen werden dürfen.
Unter diesen engen Voraussetzungen dürften legendierte Kontrollen auch
nach Maßgab der dargestellten BGH-Rechtsprechung zulässig sein.
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nachträgliche Überprüfung |
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Bei der
nachträglichen Überprüfung einer Eingriffsentscheidung hat sich der
Richter in die ursprüngliche Entscheidungssituation hinein zu versetzen. Leitend sind
dafür die Ausführungen des BVerfG wegen einer Entscheidung bei Gefahr im
Verzug
(28):
Der Richter darf nicht seine - ohne zeitlichen Druck und unter
Berücksichtigung der weiteren Entwicklung gewonnene - nachträgliche
Einschätzung der Lage an die Stelle der Einschätzung der handelnden
Beamten setzen. … Er muss ferner die situationsbedingten Grenzen von
Erkenntnismöglichkeiten in Rechnung stellen, deren mögliche
Unvollständigkeit und vorläufige Natur. … Beruht diese Einschätzung auf
den einschlägigen Tatsachen und ist sie nach der Sachlage, wie sie sich
den handelnden Amtsträgern darstellte, nahe liegend oder jedenfalls
plausibel, so darf der Richter sie bei seiner Entscheidung als
zutreffend zu Grunde legen, wenn nicht konkrete Anhaltspunkte dafür
ersichtlich sind, dass die getroffene Einschätzung mit der eines
sachkundigen und pflichtgemäß handelnden Strafverfolgungsbeamten nicht
in Einklang zu bringen ist.
Die
wichtigste Konsequenz daraus ist, Entscheidungen, Handlungen und
Erkenntnisse genau und unter Benennung der zugrunde liegenden Tatsachen
zu dokumentieren. Erst die Dokumentation lässt die
Entscheidungsvorraussetzungen und -situation als solche nachvollziehbar
werden.
Sind die polizeilichen Ermittlungsmaßnahmen unvollständig, lückenhaft
oder verdächtig pauschal dokumentiert, muss die Staatsanwaltschaft
aufgrund ihrer
Gesamtverantwortung für eine rechtsstaatliche, faire und ordnungsgemäße
Durchführung des Verfahrens für Abhilfe sorgen
(29).
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Anmerkungen |
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(1)
BVerfG, Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/97, 1 BvR
1084/99, Rn 238 (Großer Lauschangriff):
Von der besonderen Schwere einer Straftat im Sinne des
Art. 13 Abs. 3 GG ist nur auszugehen, wenn sie der
Gesetzgeber jedenfalls mit einer höheren Höchststrafe als fünf Jahre
Freiheitsstrafe bewehrt hat.
(2)
Die Soziotechniken, die beim Enkeltrick oder bei den Schockanrufen zum
Einsatz kommen, sind beachtlich, zynisch und hinterhältig. Die hier
tätigen Täter sind keine Gelegenheitsganoven oder Trickser, die kleine
menschliche Schwächen zum Betrug nutzen, sondern Schwerkriminelle mit
erprobten und durchgeplanten Techniken und Strukturen (gewerbsmäßiger
Bandenbetrug im Sinne von
§ 263 Abs. 5 StGB). Das sieht das Gesetz als Verbrechen an und droht
mit Freiheitsstrafe zwischen 1 und 10 Jahren.
(3)
Staatsanwaltschaft und Strafverfolgung, 31.01.2011.
Leitungsbefugnis und Verwertungsverbote, 09.10.2011;
BGH, Beschluss vom 27.05.2009 - 1 StR 99/09, Rn 13;
BGH, Beschluss vom 23.08.2011 - 1 StR 153/11,, Rn
18.
(4)
BGH, Urteil vom 16.02.1995 - 4 StR 729/94
(5)
BVerfG, Beschluss vom 18.12.2002 - 2 BvR 1910/02:
Der
wesentliche, der Rechtsverfolgung und Rechtsverteidigung dienende
Vortrag muss aber in den Entscheidungsgründen verarbeitet werden.
(6)
BGH, Beschluss vom 06.07.2011 - 2 StR 75/11 (ganz
am Ende)
(7)
BGH, Urteil vom 08.09.2011 - 1 StR 38/11, Rn 25
(8)
CF, Geltung von Beweisen und Erfahrungen,
29.11.2009
(9)
BVerfG, Urteil vom 03.03.2004 - 1 BvR 2378/98, - 1 BvR
1084/99, Rn 247
(10)
BGH, Beschluss vom 22.04.2003 - 3 StE 2/02-5 (1) - StB 3/03,
S. 6.
Die angegebenen Fundstellen sind im Internet nicht veröffentlicht.
(11)
BVerfG, Beschluss vom 30.04.2007 - 2 BvR 2151/06, Rn 19
(12)
BGH, Beschluss vom 21.07.2011 - 5 StR 32/11, Rn. 11
(13)
Besonders
Art 6 MRK. Dem Angeklagten müssen Gestaltungsrechte offen bleiben;
der einzelne
soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein:
BVerfG, Beschluss vom 08.01.1959 - 1 BvR 396/55, Rn. 22, 27.
(14)
BVerfG, Beschluss vom 15.10.2009 - 2 BvR 2438/08,
Rn 7
(15)
BVerfG, Beschluss vom 28.07.2008 - 2 BvR 784/08, Rn
9 (Blutprobe)
(16)
BVerfG, Beschluss vom 24.02.2011 - 2 BvR 1596/10,
2346/10, Rn 10
(17)
BGH, Beschluss vom 30.08.2011 - 3 StR 210/11, Rn 8
(17a)
BVerfG, Beschluss vom 16.06.1981 - 1 BvR 1094/80, Rn. 40, 44
(Wohnungsdurchsuchung im Rahmen einer Zwangsvollstreckung)
(18)
BGH, Beschluss vom 18.01.2011 – 1 StR 663/10, Rn 22
(19)
(17). Siehe auch:
CF, Verwertungsverbot nach Durchsuchung,
14.10.2011.
(20)
Dieter Kochheim, Verdeckte Ermittlungen im Internet,
27.07.2011
(21)
Ebenda
(20), S. 14.
(22)
Ebenda
(20), S. 43.
(23)
BGH, Urteil vom 07.03.1995 - 1 StR 685/94, Rn 7;
siehe auch ebenda
(20), S. 44.
(24)
Ebenda
(12), Rn 20.
(25)
BGH, Urteil vom 18.11.1999 - 1 StR 221/99, Rn 52;
CF, Vorrang der StPO vor dem Polizeirecht,
20.04.2008.
(26)
Insoweit wird hier zwischen der Zollverwaltung im Sinne des
Zollverwaltungsgesetzes und der Zollfahndung unterschieden, deren
Befugnisse gesondert im
Zollfahndungsdienstgesetz - ZFdG - und der Abgabenordnung (
§§ 208 ff. AO) geregelt sind.
(27)
Ebenda
(25), Rn 53.
(28)
BVerfG, Urteil vom 20.02.2001 - 2 BvR 1440/00, Rn
51, 52
(29)
BGH, Beschluss vom 27.05.2009 - 1 StR 99/09, Rn 13;
siehe auch
(3).
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© Dieter Kochheim,
11.03.2018 |