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strafprozessuale Maßnahmen | 31.01.2011 | ||
strafprozessuale Maßnahmen |
Staatsanwaltschaft und Strafverfolgung Die Aufgaben der Strafverfolgung und der Anklageerhebung obliegen der Staatsanwaltschaft ( § 152 Abs. 1 StPO) in eigener Verantwortung (1). Sie ist die Herrin des Ermittlungsverfahrens ( § 160 Abs. 1 StPO) und eine von den Gerichten unabhängige ( § 150 GVG) Verwaltungsbehörde (Exekutive), die mehr als die Verwaltung im übrigen dem Legalitätsprinzip unterworfen ( § 152 Abs. 2 StPO) und "organisch" in die Rechtspflege eingegliedert ist [ (2), selbständiges Organ der Rechtspflege]. Staatsanwaltschaft und Gericht erfüllen gemeinsam die Aufgabe der "Justizgewährung" (3), wobei das Gericht im Ermittlungsverfahren nur auf Antrag der Staatsanwaltschaft (oder aufgrund eines Rechtsmittels) tätig wird ( § 162 Abs. 1 StPO). Dabei muss der Richter dafür Sorge tragen, dass die sich aus der Verfassung und dem einfachen Recht ergebenden Voraussetzungen der Durchsuchung genau beachtet werden (BVerfGE 9, 89 <97> (4); 57, 346 <355 f.> (5) ). Als Kontrollorgan der Strafverfolgungsbehörden trifft ihn die Pflicht, durch eine geeignete Formulierung des Durchsuchungsbeschlusses im Rahmen des Möglichen und Zumutbaren sicherzustellen, dass der Eingriff in die Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt. (6)
Staatsanwälte
unterliegen einerseits den Anweisungen ihrer Vorgesetzten (
§ 146 GVG), die alle "Amtsverrichtungen" selbst übernehmen
(Devolutionsrecht) oder mit ihrer Wahrnehmung einen anderen Beamten
beauftragen können [Substitutionsrecht,
§ 145 Abs. 1 GVG
(7) ].
Im Außenverhältnis sind sie andererseits uneingeschränkt zu allen der
Staatsanwaltschaft zugewiesenen Amtshandlungen berechtigt ( § 144 GVG).
Dabei richtet sich die örtliche Zuständigkeit des Staatsanwalts nach der des
Gerichts, für das er bestellt ist ( § 143
Abs. 1 GVG), darüber hinaus ist er zu allen Amtshandlungen verpflichtet,
bei denen
Gefahr in
Verzug ist ( § 143
Abs. 2 GVG,
§ 163
Abs. 1 StPO). Diese Verpflichtung gilt auch für den Richter
(Notstaatsanwalt,
§ 165
StPO). |
Verhältnis zur Polizei Im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen sind die Polizeibeamten "Ermittlungspersonen der Staatsanwaltschaft" und müssen ihren Anweisungen Folge leisten ( § 152 Abs. 1 GVG, früher: "Hilfsbeamte"; § 161 Abs. 1 S. 2 StPO). Das betrifft nicht ihre ordnungspolizeilichen Aufgaben wie die Gefahrenabwehr und die Prävention. Ermittlungspersonen können auch aus anderen Verwaltungszweigen stammen (zum Beispiel Feuerwehr, Förster, Bergamt), wenn ihnen die Landesverwaltung diese Aufgabe überträgt ( § 152 Abs. 2 S. 1 GVG). Dadurch sind sie zu allen Maßnahmen berechtigt, die die Strafprozessordnung den Ermittlungspersonen besonders bei Gefahr in Verzug zuweist. Eine einzigartige Rolle haben die Finanzbehörden, denen im Steuerstrafverfahren bis einem bestimmten Grad die Aufgaben der Staatsanwaltschaft übertragen sind ( § 399 Abs. 1 AO). Die §§ 160 Abs. 1, 161 Abs. 1 S. 2 StPO und 152 Abs. 1 GVG stufen die Anordnungskompetenz, so dass vorrangig die Staatsanwaltschaft zur Entscheidung berufen ist (8). Die Polizei hat das Recht zum ersten Zugriff ( § 163 Abs. 1 StPO) und muss dann ohne Verzug ihre "Verhandlungen" der Staatsanwaltschaft übersenden ( § 163 Abs. 2 S. 1 StPO). Im Massengeschäft führt die Polizei in aller Regel zunächst die Ermittlungen zu Ende, bevor sie die Vorgänge an die Staatsanwaltschaft abgibt (9).
Das
Weisungsrecht der Staatsanwaltschaft ist ein institutionelles und kein
persönliches. Die Polizeibehörde als solche muss die Aufträge der
Staatsanwaltschaft ausführen. Die innere Organisation de Polizei bleibt
davon unberührt. Sie entscheidet darüber, welcher Beamte eingesetzt wird. |
Verfahren der Strafrechtspflege | ||
Das Ermittlungsverfahren kennt verschiedene Stufen.
Vorfeldermittlungen (Initiativermittlungen) Während der Vorfeldermittlungen dürfen keine besonderen Eingriffsbefugnisse der StPO angewandt, sondern nur eigene Vorgänge, öffentliche Informationen und im Wege der Amtshilfe erlangte Erkenntnisse verwertet werden.
Vorermittlungen |
unbekannte Täter
bekannte Täter Das gerichtliche Verfahren kennt vor allem das Zwischenverfahren nach der Anklageerhebung ( §§ 199 ff. StPO) und das gerichtliche Verfahren selber, die Hauptverhandlung ( §§ 226 ff. StPO). Im Einzelfall können Rechtsmittelverfahren anschließen ( §§ 296 ff. StPO; Beschwerde: §§ 304 ff. StPO, Berufung: §§ 312 ff. StPO, Revision: §§ 333 ff. StPO). Nach rechtskräftiger Verurteilung folgt das Vollstreckungsverfahren ( § 449 StPO). Für den Strafvollzug, also die tatsächliche Vollstreckung von Freiheitsstrafe, gilt Landesrecht. Die Vollstreckungsbehörde regelt nur ihren äußeren Rahmen wie die Zuführung, Strafzeitberechnung oder den Strafaufschub ( § 456 StPO).
Die inneren Vollzugsabläufe obliegen den Justizvollzugsanstalten selber. |
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Beweisführung | ||
Nicht zuletzt deshalb stellt § 152 Abs. 2 StPO das Legalitätsprinzip neben die zureichenden tatsächlichen Anhaltspunkte, die nichts anderes meinen als Tatsachen oder mit einem anderen Wort: Fakten. Im Zusammenhang mit den Ermittlungen und später im gerichtlichen Verfahren müssen die Tatsachen erhoben und im Zuge der Rechtsanwendung müssen sie bewertet werden. Dabei ist zu fragen, welche Aussage einer Tatsache zu entnehmen ist, welche Schlüsse aus ihr zu ziehen sind, welche Folgerungen aus dem Zusammenhang von Tatsachen und welche verschiedenen Möglichkeiten sie bei der Gesamtschau eröffnen. Diesen Prozess der Bewertung von Tatsachen habe ich als die ständige Frage nach ihrer Geltung gezeichnet. Der gedankliche Schluss ist zunächst ein Verdacht und am Ende der gerichtlichen Hauptverhandlung eine Überzeugung (11). Für die Vorermittlungen muss ein Anlass bestehen. Er verlangt nach Tatsachen ( Merkwürdigkeiten), die eine harmlose Erklärung haben oder auf eine Straftat schließen lassen können. Beispiele dafür sind die ungeklärte Todesursache einer Leiche, der Ausbruch eines Brandes, die Eröffnung eines Insolvenzverfahrens oder Fische, die bäuchlings auf einem Teich treiben. Die weiteren Ermittlungen dienen der Ursachenerforschung.
Ist danach eine Straftat die überwiegend wahrscheinliche Ursache, dann
beginnt das Stadium des
Anfangsverdachts und des vom Legalitätsprinzip geforderten
Ermittlungsverfahrens. Besonders stark in Persönlichkeitsrechte eingreifende
Ermittlungshandlungen erfordern deshalb nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit
in aller Regel nicht nur nach einer
gewissen
Schwere der Kriminalität, sondern auch nach einem verdichteten, also
durch Tatsachen
untermauerten Anfangsverdacht. |
Erst das Gericht darf im Urteil "im Zweifel für den Angeklagten" entscheiden. Dabei darf es keinen allgemeinen Verurteilungsunmut äußern, sondern muss im Rahmen der festgestellten Tatsachen und ihrer Bewertung erklären, welche vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten bestehen. Die Anordnung der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer verlangen nach einem dringendem Tatverdacht. An ihn werden quasi "fließende" Anforderungen gestellt. Solange noch die Ergebnisse der laufenden Ermittlungen offen sind, reicht ein auf die Person des Beschuldigten angereicherter Verdacht, wobei sich die Anforderungen ständig erhöhen. Im Zeitpunkt der Anklageerhebung muss der dringende stärker als der nur hinreichende Verdacht sein. Allgemeine und justizfachliche Erfahrungen sowie das Fachwissen von Sachverständigen müssen bei der Bewertung von Tatsachen heran gezogen werden. Sie sind in allen Phasen der Verdachtsprüfung nötig und zulässig, dürfen anfangs sogar Beweislücken schließen, weil Beweiserhebungen noch ausstehen, müssen sich aber bei Anklageerhebung und besonders beim Urteil auf klare Aussagen und begrenzte Einzelheiten beschränken. Mit dem Profil eines Täters, seinem Motiv oder seinem Vorleben lässt sich keine Anklage oder Urteil begründen. Sie sind hilfreiche Instrumente und unterstützende Argumente bei der Bewertung von festen Tatsachen, mehr nicht, und besonders wichtig, wenn es um vernünftige Zweifel geht, die einer Bestrafung entgegen stehen. An dieser Stelle offenbart sich die gute Tradition der Rechtswissenschaft
in der klassischen Philosophie. Sie hat einerseits den Syllogismus
entwickelt: Einem Obersatz als Maxime (Recht) wird ein Untersatz
(Sachverhalt, Tatsachen) entgegen gestellt, um am Ende einen Schluss zu
bilden (Rechtsfolge). Die dazu nötige Methode sind andererseits die Logik
und vor allem
Ockhams Rasiermesser. |
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Anmerkungen | ||
(2) BVerfG, Beschluss vom 05.11.2001 - 2 BvR 1551/01, Rn. 10. (3) Im Anschluss an Eberhard Schmidt: BVerfG, Urteil vom 19.03.1959 - 1 BvR 295/58, Rn. 21. (4) Der einzelne soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein: BVerfG, Beschluss vom 08.01.1959 - 1 BvR 396/55, Rn. 22, 27. (5) Verlangt wird vom Richter eine unabhängige, neutrale Prüfung, ob die gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung dieser Maßnahme vorliegen und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist: BVerfG, Beschluss vom 16.06.1981 - 1 BvR 1094/80, Rn. 40, 44 (Wohnungsdurchsuchung im Rahmen einer Zwangsvollstreckung). (6) Ebenda (1), Rn. 28. (7) Anschaulich: Roland Hefendehl, Strafprozessrecht (SoS 2006), Uni Freiburg 05.05.2006.
(8)
BVerfG, Beschluss vom 28.07.2008 -2 BvR 784/08;
(9)
Diese Handhabung wird mit einem gewissen Recht seit Jahrzehnten von den
Rechtswissenschaften kritisiert. Unter verfahrensökonomischen
Gesichtspunkten wäre es jedoch eine reine Förmelei, wenn wegen aller einfach
gelagerten Ermittlungsverfahren zunächst die Staatsanwaltschaft
eingeschaltet würde, die nichts anderes machen könnte als die Akten für den
Abschluss der Ermittlungen wieder zurück zu senden. |
(11) Urteil bei Freispruch, 29.08.2010. |
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© Dieter Kochheim, 13.11.2011 |