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Die
Staatsanwaltschaft ist die leitende Behörde im Ermittlungsverfahren (
§ 160 Abs. 1 StPO), die Anklagebehörde (
§ 152 Abs. 1 StPO) und notwendiger Beteiligter an der gerichtlichen
Verhandlung (siehe nur
§ 226
Abs. 1 StPO) sowie schließlich Vollstreckungsbehörde (
§ 451 Abs. 1 StPO). Außerdem ist sie dem gerichtlichen Verfahren bei
Ordnungswidrigkeiten vorgeschaltet (
§ 69 Abs. 3 OWiG) und den Steuerstrafverfahren, soweit sie von der
Finanzverwaltung selber betrieben werden (
§ 406 AO).
Das
Ermittlungsverfahren kennt verschiedene Stufen.
Vorfeldermittlungen (Initiativermittlungen)
Vorfeldermittlungen erfolgen ohne ausdrücklichen Anlass. Sie dienen zur
verfahrensübergreifenden Auswertung von Erkenntnissen im Interesse der
polizeilichen Prävention und zur Eingrenzung noch unbekannter
Kriminalitätsfelder. So ermächtigt zum Beispiel Nr. 4.5 der
Anlage E
zur RiStBV die Staatsanwaltschaft und die Polizei wegen
der
Organisierten Kriminalität ausdrücklich zu Ermittlungen, um die
Frage zu klären, ob ein Anfangsverdacht besteht.
Während der Vorfeldermittlungen dürfen keine besonderen Eingriffsbefugnisse
der StPO angewandt, sondern nur eigene Vorgänge, öffentliche Informationen
und im Wege der Amtshilfe erlangte Erkenntnisse verwertet werden.
Vorermittlungen
Vorermittlungen sind hingegen anlassbezogen und dienen der Frage, ob
eine Straftat begangen wurde. Im Zusammenhang mit
Leichensachen werden Vorermittlungen von der StPO ausdrücklich verlangt
und geregelt.
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In diesem Zusammenhang spreche ich von
Merkwürdigkeiten. Dabei handelt es sich um tatsächliche Anhaltspunkte im
Sinne von
§ 152 Abs. 2 StPO, die harmlose Erklärungen haben, aber auch die Folge
einer Straftat sein können. Die StPO lässt dafür einige
elementare
Ermittlungshandlungen zu [nach der
Aktenordnung
handelt es sich um AR-Verfahren
(10) ].
unbekannte Täter
Sobald feststeht, dass eine Straftat begangen wurde, beginnt das vom
Legalitätsprinzip bestimmte Ermittlungsverfahren. Es richtet sich auch gegen
nicht identifizierte und namhaft gemachte Täter (sog. UJs-Verfahren). Es
dient zunächst zu ihrer Identifizierung.
bekannte Täter
Erst nach bekannten Tätern kann gefahndet und gegen sie Anklage erhoben
werden. Mit der Anklage endet das Ermittlungsverfahren (
§ 169a StPO).
Das
gerichtliche Verfahren kennt vor allem das Zwischenverfahren nach der
Anklageerhebung (
§§ 199 ff. StPO) und das gerichtliche Verfahren selber, die
Hauptverhandlung (
§§ 226 ff. StPO). Im Einzelfall können Rechtsmittelverfahren anschließen
(
§§ 296 ff. StPO; Beschwerde:
§§ 304
ff. StPO, Berufung:
§§ 312
ff. StPO, Revision:
§§ 333
ff. StPO).
Nach
rechtskräftiger Verurteilung folgt das Vollstreckungsverfahren (
§ 449 StPO).
Für den
Strafvollzug, also die tatsächliche Vollstreckung von Freiheitsstrafe, gilt
Landesrecht. Die Vollstreckungsbehörde regelt nur ihren äußeren Rahmen wie
die Zuführung, Strafzeitberechnung oder den Strafaufschub (
§ 456 StPO).
Die inneren Vollzugsabläufe obliegen den Justizvollzugsanstalten selber.
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Recht ist
ein Werkzeug und die Anwendung von Recht ist der handwerkliche Umgang mit
diesen Werkzeugen. Dazu bedarf es immer eines Sachverhaltes, also Tatsachen
und Abläufe, die wegen der Rechtsfolgen gewertet und geprüft werden.
Nicht
zuletzt deshalb stellt
§ 152 Abs. 2 StPO das Legalitätsprinzip neben die
zureichenden
tatsächlichen Anhaltspunkte, die nichts anderes meinen als Tatsachen
oder mit einem anderen Wort: Fakten.
Im Zusammenhang mit den Ermittlungen und später im gerichtlichen
Verfahren müssen die Tatsachen erhoben und im Zuge der Rechtsanwendung müssen
sie bewertet werden. Dabei ist zu fragen, welche Aussage einer Tatsache zu
entnehmen ist, welche Schlüsse aus ihr zu ziehen sind, welche Folgerungen
aus dem Zusammenhang von Tatsachen und welche verschiedenen Möglichkeiten
sie bei der Gesamtschau eröffnen. Diesen Prozess der Bewertung von Tatsachen
habe ich als die ständige Frage nach ihrer
Geltung
gezeichnet.
Der
gedankliche Schluss ist zunächst ein
Verdacht
und am Ende der gerichtlichen Hauptverhandlung eine Überzeugung
(11).
Für die
Vorermittlungen muss ein Anlass bestehen. Er verlangt nach Tatsachen (
Merkwürdigkeiten), die eine harmlose Erklärung haben oder auf eine
Straftat schließen lassen können. Beispiele dafür sind die ungeklärte
Todesursache einer Leiche, der Ausbruch eines Brandes, die Eröffnung eines
Insolvenzverfahrens oder Fische, die bäuchlings auf einem Teich treiben. Die
weiteren Ermittlungen dienen der Ursachenerforschung.
Ist danach eine Straftat die überwiegend wahrscheinliche Ursache, dann
beginnt das Stadium des
Anfangsverdachts und des vom Legalitätsprinzip geforderten
Ermittlungsverfahrens. Besonders stark in Persönlichkeitsrechte eingreifende
Ermittlungshandlungen erfordern deshalb nach Maßgabe der Verhältnismäßigkeit
in aller Regel nicht nur nach einer
gewissen
Schwere der Kriminalität, sondern auch nach einem verdichteten, also
durch Tatsachen
untermauerten Anfangsverdacht.
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Für die
Anklageerhebung verlangt das Gesetz eine überwiegende
Verurteilungswahrscheinlichkeit, mit anderen Worten: einen
hinreichenden Tatverdacht. In diesem Stadium dürfen verschiedene
Möglichkeiten offen sein und es ist vor allem der Bewertung des
Staatsanwalts überlassen, ob erst durch die Anhörung
des Beschuldigten und der Zeugen vor Gericht Zweifelsfragen geklärt werden können.
Erst das
Gericht darf im Urteil "im Zweifel für den Angeklagten" entscheiden. Dabei
darf es keinen allgemeinen Verurteilungsunmut äußern, sondern muss im
Rahmen der festgestellten Tatsachen und ihrer Bewertung erklären, welche
vernünftigen Zweifel an der Täterschaft des Angeklagten bestehen.
Die Anordnung
der Untersuchungshaft und ihrer Fortdauer verlangen nach einem
dringendem
Tatverdacht. An ihn werden quasi "fließende" Anforderungen gestellt.
Solange noch die Ergebnisse der laufenden Ermittlungen offen sind, reicht
ein auf die Person des Beschuldigten angereicherter Verdacht, wobei sich die
Anforderungen ständig erhöhen. Im Zeitpunkt der Anklageerhebung muss der
dringende stärker als der nur hinreichende Verdacht sein.
Allgemeine
und justizfachliche Erfahrungen sowie das Fachwissen von Sachverständigen
müssen bei der Bewertung von Tatsachen heran gezogen werden. Sie sind in
allen Phasen der Verdachtsprüfung nötig und zulässig, dürfen anfangs sogar
Beweislücken schließen, weil Beweiserhebungen noch ausstehen, müssen sich
aber bei Anklageerhebung und besonders beim Urteil auf klare Aussagen und
begrenzte Einzelheiten beschränken.
Mit dem Profil eines Täters, seinem Motiv oder seinem Vorleben lässt sich
keine Anklage oder Urteil begründen. Sie sind hilfreiche Instrumente und
unterstützende Argumente bei der Bewertung von festen Tatsachen, mehr nicht,
und besonders wichtig, wenn es um vernünftige Zweifel geht, die einer
Bestrafung entgegen stehen.
An dieser Stelle offenbart sich die gute Tradition der Rechtswissenschaft
in der klassischen Philosophie. Sie hat einerseits den Syllogismus
entwickelt: Einem Obersatz als Maxime (Recht) wird ein Untersatz
(Sachverhalt, Tatsachen) entgegen gestellt, um am Ende einen Schluss zu
bilden (Rechtsfolge). Die dazu nötige Methode sind andererseits die Logik
und vor allem
Ockhams Rasiermesser.
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(1)
BVerfG, Urteil vom 20.02.2001 - 2 BvR 1444/00, Rn. 27.
(2)
BVerfG, Beschluss vom 05.11.2001 - 2 BvR 1551/01, Rn. 10.
(3)
Im Anschluss an Eberhard Schmidt:
BVerfG, Urteil vom 19.03.1959 - 1 BvR 295/58, Rn. 21.
(4)
Der einzelne
soll nicht nur Objekt der richterlichen Entscheidung sein:
BVerfG, Beschluss vom 08.01.1959 - 1 BvR 396/55, Rn. 22, 27.
(5) Verlangt
wird vom Richter eine
unabhängige,
neutrale Prüfung,
ob die
gesetzlichen Voraussetzungen für die Durchführung dieser Maßnahme vorliegen
und der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt ist:
BVerfG, Beschluss vom 16.06.1981 - 1 BvR 1094/80, Rn. 40, 44
(Wohnungsdurchsuchung im Rahmen einer Zwangsvollstreckung).
(6)
Ebenda
(1), Rn. 28.
(7)
Anschaulich:
Roland
Hefendehl, Strafprozessrecht (SoS 2006), Uni Freiburg
05.05.2006.
(8)
BVerfG, Beschluss vom 28.07.2008 -2 BvR 784/08;
BVerfG.
Interessante Nebenentscheidungen, 08.09.2008.
(9)
Diese Handhabung wird mit einem gewissen Recht seit Jahrzehnten von den
Rechtswissenschaften kritisiert. Unter verfahrensökonomischen
Gesichtspunkten wäre es jedoch eine reine Förmelei, wenn wegen aller einfach
gelagerten Ermittlungsverfahren zunächst die Staatsanwaltschaft
eingeschaltet würde, die nichts anderes machen könnte als die Akten für den
Abschluss der Ermittlungen wieder zurück zu senden.
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(10)
AR: Allgemeine Rechtssachen.
(11)
Urteil bei
Freispruch, 29.08.2010. |